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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Krankenzimmer im Keller der Schule aufgesucht hatte. Er konnte sich wie all die anderen Zurückgebliebenen nicht mehr in Sicherheit bringen. Dabei war Christian doch der Letzte, dem ich durch den Brand Schaden zufügen wollte. Im Gegenteil, ich tat es doch für uns beide. Für uns. Als Vergeltung für all das, was man ihm und mir zugefügt hat. Ich hab es doch für uns getan.
    Christian war doch der Letzte, den ich hätte umbringen wollen.
    Du warst doch der Letzte, den ich umbringen wollte.
    Ich will Heia machen. Endlich Ruhe. Hör doch auf, zu mir zu reden, bitte schweig, bitte sag nichts, nur einen Moment. Die Stimmen sprechen klar und deutlich weiter, in Endlosschleife, wiederholen ihren altbekannten Dialog ein ums andere Mal. Schauer überlaufen mich. Ich wünschte, ich wäre bei dem Brand gestorben.
    Und nicht du.

31
    »Hi, Fynn.«
    …
    »Das ist großartig«
    …
    »Und so geht’s dann immer weiter?«
    …
    »Nein, wie kommst du darauf? Ich bringe dir doch nichts mit! Wie käme ich denn dazu?«
    …
    »Hey, nicht frech werden. Haha, na mal sehen, aber, nein, nein, vergiss es.«
    …
    »Das kannst du vergessen.«
    …
    »Du Dings, äh, na, Dings, äh, F-F-Fynn, hat das mit dem Elternabend geklappt? – Ja? – Ja, Esther ist sehr nett. Ich hab ihr schon danke gesagt, dass sie für mich eingesprungen ist.«
    …
    »Wieso? Nein, morgen Abend bin ich doch wieder da, dann kriegen wir das hin.«
    …
    »Nicht, dass ich wüsste, aber wart mal …«
    …
    »Für den Fall der Fälle. Ah, in Ordnung.«
    …
    »Hier ist es schon kurz vor sieben – ja, abends. Sibirien ist fünf Stunden nach vorne, hab ich dir doch schon gesagt.«
    …
    »Genau, wir werden jetzt gleich abgeholt. Und das mit eurem Hilfsprojekt für Pottwale – mein ich ja, Grauwale, musst du mir morgen sofort genauer erklären.«
    …
    »Nööö!«
    …
    »Hier ist das Wetter superschlecht. Und in München? Ach, sag’s mir nicht!«
    …
    »Hahaha.«
    …
    »Ja. – Genau. Okay, bis morgen. Mach’s gut. Tschau. – Tschau.«
    Ich behalte den Hörer am Ohr. Lege nicht auf. Warte, bis er es macht. Alles, was ich zu hören bekomme, ist das Tuten. Noch ein Weilchen. Ich lege auf. Stehe auf. Sehe auf. Befinde mich in der Hotelhalle und warte auf den Fahrer, der mich zum Flughafen chauffiert. Ein Page rennt vorbei und grüßt mich, als würde er mir eine Bedeutung zuordnen, die ich gar nicht besitze. Fynn hat am Telefon gerade wieder die ganze Zeit von Tieren gesprochen, darüber, was er gelesen hat und im TV gesehen hat. Ich liebe ihn für seine Sensibilität. Es macht ihn besonders. In seinem Alter habe ich auch nie daran gedacht, so wie die anderen Jungs, Katzen zu quälen, Vögel abzuschießen und mit leuchtenden Augen ihren Todeskampf zu bejubeln, Hasen die Pfoten abzuschneiden und verbluten zu lassen, oder Reptilien aufzuspießen und ihnen beim Verenden zuzusehen. Diese Lust der anderen an der Brutalität, ich versuchte sie, an mir abprallen zu lassen – vergebens. (Tiere und Mitschüler nicht quälen zu wollen hielt ich einige Zeit lang sogar für ein Defizit an mir selbst.) Vor allem zu Beginn der Pubertät erreicht das grausame Verhalten von Jungs unvorstellbare, grenzenlos perverse Ausmaße. Sie sind die Inkarnation alles Schlechten. Meine komplette Verständnislosigkeit führte unweigerlich zu bodenloser Verzweiflung. Selbst wenn sie als erwachsene Männer so etwas nicht mehr tun und man es sich bei ihnen auch nicht vorstellen kann, waren sie dennoch als Kinder so brutal. Sag mir einer, wie soll ich es schaffen, die Menschheit
nicht
zu verachten? Mein Empfindungsvermögen ließ mich damals wie heute fühlen, als sei ich ein Aussätziger. Ein Außerirdischer nach einer Fehllandung, der das alles nicht versteht. Egal jetzt.
    Von der Ecke aus, in die ich mich postiert habe, beobachte ich, wie zig arabische Machos durch die Lobby des Hotels stolzieren. Mitten durch, mit der Selbstverständlichkeit von Weltherrschern. Schwarze Schnurrbärte in weißen Kaftanen. Passengut in diese Gegend. Wer, bitte, hat festgelegt, dass das Gegenteil von weiß schwarz ist? Ich schweife ab. Schon wieder.
    Im Schlepptau haben diese Iraker oder Iraner oder Kuwaiter ihre größtenteils unverschleierten Frauen. Die doch immer so einen Riesenzinken im Gesicht hatten. Den charakteristischen Perserkolben. Mittlerweile sind alle operiert und haben Stupsnäschen. Alle dieselben. Sehen in diesem massenhaften Aufgebot aus, als wollten sie zu einem Kongress international

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