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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Erkältung ist erst seit gestern so richtig abgeklungen. »Drei Tage kommt sie, drei Tage bleibt sie, drei Tage geht sie.« Großmütterzitat. Macht zusammen gute drei Wochen. Omas wussten eben auch nicht alles. Dafür sind sie sexy.
    Die stumme Tastatur, auf die Ben einhämmert, gibt keinenLaut von sich. Er brütet über der Rechnungsstellung an Marischka. Auch wenn wir höchstwahrscheinlich den Zuschlag für zwei Folgeprojekte erhalten werden, schlagen wir auf unsere Festansatzrechnung erst mal 25 Prozent auf, unvorhersehbare Mehrkosten, zusätzlich zum verbrieften Kostenvoranschlag. Sicherheitshalber. Spielraum schaffen. So geben wir Marischka die Möglichkeit, noch ein bisschen mit uns über den Preis zu feilschen und verschaffen ihm letztlich die Befriedigung, sich vormachen zu können, er hätte uns ganz schön runtergehandelt.
    Eine Stewardess schlängelt sich vorbei. Auf ihren Lippen ein mechanisches Lächeln, lieblich gemeint, aber etwas verdörrt vom übermäßigen Gebrauch. Ein Glockenton veranlasst mich aufzusehen. Der Schriftzug neben dem NO SMO ING-Zeichen erleuchtet: FASTEN Y UR SEATB LTS. Meinen Gurt habe ich die ganze Zeit eng um die Hüfte gezurrt. Ich prüfe nur noch mal das Schloss. Auf. Zu. Auf. Zu. Wir sitzen in etwa in der Mitte des Passagierraums, zwei Reihen vor den Tragflächen. Die museumsreife Maschine knarzt und ächzt in jedem Winkel, der Boden vibriert durchgehend. Irgendwas klappert unaufhörlich unter dem Ansturm des Gegenwindes. Der Wartungszustand dieser fliegenden Kiste ist erbärmlich. Mal abgesehen davon, dass auf meinem Sitz noch ein paar Plastik-Essensverpackungen meines Vorgängers lagen und an dem Bezug der Kopflehne drei schwarze, fettige Haare klebten, bin ich überzeugt, diese Oldtimer werden höchstens neu betankt, nicht aber von technischem Fachpersonal durchgecheckt.
    Nicht, dass mich das kaltließe. Weit entfernt davon. Plötzliches Pulsrasen. Ich schaue Ben an. Er ist die Ruhe selbst und starrt unverändert konzentriert auf seinen Bildschirm. Das ist meiner Flugangst eher noch zuträglich. Ich tue vor mir selbst ganz gelangweilt, was aber gar nichts bringt. Oh, heute ist esbesonders schlimm. Vielleicht denke ich das aber auch jedes Mal. Ich prüfe meine Uhr, in einer guten halben Stunde landen wir. Mich überkommt die Frage, ob denn so was Simples und Zufälliges, wie einfach in diese, gerade diese Tupolew zu steigen, tatsächlich zu meinem eigenen Verderben führen könnte? In mir wechseln sich hysterische Nervosität und die Bereitschaft ab, mit irgendeiner abstrakten Gottheit um mein Leben zu feilschen. Tod? Nicht jetzt, nicht heute, nicht hier.
    Ich setze mich aufrecht. Bei solchen Gedanken neige ich immer dazu, in mir zusammenzusinken. Mein Mund ist trocken wie Sand. Ich nehme einen Schluck aus einer mitgebrachten Mineralwasserflasche, die dennoch irgendwie nicht leerer wird. In der Hoffnung, mich abzulenken, stelle ich mir vor, was meine Wohnung gerade macht, jetzt, da ich nicht in ihr bin? Ich male sie mir stockduster aus, verlassen, einzelne Möbelstücke im fahlen Mondlicht. Meine Fischlein fischen im trüben. Leises Uhrticken. Vergeht Zeit überhaupt, wenn niemand da ist, sie zu messen? Das geht mir im Kopf herum. Ganz gleich, trotzdem dauert dieser Flug noch siebenundzwanzig Minuten. Meine Augen brennen, immer noch angsterfüllt. Ich befeuchte mir die Lippen, die ich, wie schmollend, vorgeschoben habe. Dabei blicke ich abwechselnd auf meine ausgestreckten Zeigefinger, mit denen ich Achten auf die Armlehnen zeichne. Weil ich Ben um seine Ruhe beneide, habe ich das Gefühl, ihn irgendwie dafür bestrafen zu müssen. Ich remple ihn mit dem Ellbogen an und reiße ihn aus seiner Konzentration. Er drückt seelenruhig auf Speichern, sieht mich an, mit seinem typischen Ich-stehe-ganz-zu-deiner-Verfügung-was-kann-ich-für-dich-tun-Blick, wie das so seine verdammte nette Art ist, und sagt: »Was gibt’s?«. Mir fällt überhaupt nichts ein, was es geben könnte. Ich stammle ein längeres »Ähm« heraus und frage dann eindringlich nach dem inzwischen wiederfast komplett verschwundenen Horn auf meiner Schläfe: »Sieht man eigentlich noch den Pickel?« Ich zeige halbherzig auf meinen Kopf.
    Ben zieht die Stirn kraus und sieht mich an, als ob er nicht glauben könne, dass ich ihn deswegen bei der Arbeit unterbrochen habe. Er richtet die Augen auf die fragwürdige Stelle über meinem Ohr und sagt: »Nur, wenn man hinsieht.« Dann wendet er sich kopfschüttelnd wieder

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