Paris, Ein Fest Fürs Leben
können ein glückliches Leben zusammen führen.» «Ach so», sagte ich. «Aber was ist mit der Soundso?»
«Die ist lasterhaft», sagte Miss Stein. «Die ist richtig lasterhaft; des
halb kann sie nie glücklich sein außer mit immer neuen Leuten. Sie
korrumpiert die Leute.»
«Ich verstehe.»
«Verstehen Sie es auch wirklich?»
In jenen Tagen gab es so viele Dinge zu verstehen, und ich war froh, als wir von etwas anderem sprachen. Der Park war geschlossen, so mußte ich an ihm entlang, hinunter bis zur Rue de Vaugirard und um das untere Ende des Parks gehen. Es war traurig, wenn der Park geschlossen und zugesperrt war, und ich war traurig, wenn ich um ihn herum- und nicht hindurchgehen konnte und ich es eilig hatte, nach Hause in die Rue Cardinal-Lemoine zu kommen. Der Tag hatte dazu so heiter begonnen. Morgen würde ich schwer arbeiten müssen, Arbeit könne beinahe alles heilen, glaubte ich damals, und ich glaube es noch heute. Damals war das einzige, wovon ich nach Miss Steins Meinung geheilt werden mußte, meine Jugend und die Liebe zu meiner Frau. Ich war überhaupt nicht traurig, als ich nach Hause in die Rue Cardinal-Lemoine kam und meiner Frau mein neu erworbenes Wissen mitteilte. Nachts waren wir glücklich mit dem Wissen, das wir selber bereits hatten, und anderem neuem Wissen,
das wir in den Bergen erworben hatten.
«Une Génération Perdue»
Es wurde leicht zur Gewohnheit, der Wärme, der großartigen Bilder und der Unterhaltung wegen am Spätnachmittag in der Rue Fleurus 27 vorzusprechen. Oft hatte Miss Stein keine Gäste, und sie war immer sehr freundschaftlich, und lange Zeit über war sie liebevoll. Wenn ich von meinen Reisen zu den verschiedensten politischen Konferenzen oder aus Kleinasien oder Deutschland zurückgekommen war - die ich für die kanadische Zeitung und die Presseagenturen, für die ich arbeitete, machte , wollte sie, daß ich ihr alle amüsanten Einzelheiten erzählte. Es gab immer komische Dinge, und die mochte sie und auch das, was die Deutschen Galgenhumor nennen. Sie wollte den vergnüglichen Teil von dem, was in der Welt vorging, erfahren; nie die Wirklichkeit, nie das Schlechte. Ich war jung und nicht schwermütig, und selbst in der schlimmsten Zeit geschahen seltsame und komische Dinge, und die mochte Miss Stein hören. Über die anderen Dinge sprach ich nicht und schrieb sie für mich nieder.
Wenn ich nach meiner Arbeit in der Rue Fleurus vorsprach, und nicht gerade von einer Reise zurückgekommen war, versuchte ich manchmal Miss Stein dazu zu bringen, über Bücher zu sprechen. Wenn ich schrieb, war Lesen, wenn ich mit Schreiben aufgehört hatte, eine Notwendigkeit für mich. Wenn man weiter daran dachte, ging einem das, worüber man schrieb, verloren, ehe man am nächsten Tag weitermachen konnte. Es war auch notwendig, sich Bewegung zu machen, um körperlich müde zu sein, und es war sehr gut, mit der, die man liebte, ins Bett zu gehen. Das war besser als alles andere. Aber danach, wenn man leer war, war Lesen eine Notwendigkeit, damit man nicht über seine Arbeit nachdachte und sich sorgte, ehe man am nächsten Tag wieder damit beginnen konnte. Ich hatte bereits gelernt, nie den Brunnen meines Schreibens zu leeren, sondern immer aufzuhören, wenn in dem tiefen Teil des Brunnens noch etwas darin war und ihn sich nachts von den Quellen, die ihn speisten, auffüllen zu lassen.
Um meine Gedanken vom Schreiben abzuhalten, las ich manchmal, nachdem ich gearbeitet hatte, zeitgenössische Autoren, wie etwa Aldous Huxley oder D. H. Lawrence oder sonst einen, von dem Bücher erschienen waren, die ich in Sylvia Beachs Bücherstube bekommen oder an den Quais finden konnte.
«Huxley ist ein toter Mann», sagte Miss Stein. «Warum wollen Sie einen toten Mann lesen? Können Sie denn nicht sehen, daß er tot ist?» Damals konnte ich nicht sehen, daß er ein toter Mann war, und ich sagte, daß mich seine Bücher amüsierten und vom Denken abhielten. «Sie sollten nur lesen, was wahrhaft gut ist oder was eindeutig schlecht ist.»
«Ich habe diesen ganzen Winter und den ganzen letzten Winter wahrhaft gute Bücher gelesen, und nächsten Winter werde ich es wieder tun, und aus eindeutig schlechten Büchern mache ich mir nichts.» «Wozu diesen Schund lesen? Es ist aufgeblähter Schund, Hemingway. Von einem toten Mann.»
«Ich möchte gern sehen, was die anderen schreiben», sagte ich; «und
es hält mich davon ab, selbst zu schreiben.»
«Wen lesen Sie sonst noch?»
«D. H.
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