Parker Pyne ermittelt
Zettel. Sie faltete ihn rasch auseinander. Als sie die ersten Zeilen las, erbleichte sie und musste sich an der Wand abstützen. Die Handschrift war fremdländisch, die Sprache aber englisch.
Lady (so fing sie an),
diese Nachricht beweist, dass Ihr Sohn an Ort großer Sicherheit g e fangen gehalten wird. Ehrenwerter junger Gentleman wird nicht gesch a det, wenn Sie Befehle ausführen. Wir verlangen Lösegeld zehntausend englische Pfund Sterling. Wenn Sie reden mit H o telb e sitzer oder Polizei oder anderen Leuten Ihr Sohn ist tot. Denken Sie nach. Morgen gibt es Anleitung wie Geld zu beza h len ist. Wenn Befehle nicht befolgt dann wir werden Ohren des ehrenwerten jungen Gentleman a b schneiden. Wenn nächster Tag Befehle nicht befolgt er tot. Dies kein leere Drohung. Mag Kyria noch mal nac h denken – wichtig – schweigen Sie.
Demetrius der Finstere
Es wäre nutzlos den emotionalen Zustand der armen Frau zu beschreiben. Wenn die Forderung auch lächerlich und kindisch formuliert war, verursachte sie doch eine grausame Atmosphäre der Gefahr. Willard, ihr Junge, ihr Liebling, ihr zarter, ernster Willard.
Sie würde sofort zur Polizei gehen; sie würde die Nachbarn alarmieren. Aber vielleicht, wenn sie das tat – Sie erzitterte.
Dann riss sie sich zusammen und machte sich auf die Suche nach dem Hotelbesitzer – der einzigen Person im Hotel, die englisch sprach.
»Es wird spät«, sagte sie. »Mein Sohn ist noch nicht zurückgekehrt.«
Der freundliche, kleine Mann strahlte sie an. »Das stimmt. Monsieur hat die Esel zurückgeschickt. Er wollte zu Fuß nach Hause kommen. Er sollte mittlerweile hier sein, hat aber wohl auf dem Weg getrödelt.« Er lächelte sie fröhlich an.
»Sagen Sie mir«, fragte Mrs Peters plötzlich, »gibt es hier in der Gegend irgendwelche Leute mit einem schlechten Ruf?«
Schlechter Ruf war eine Umschreibung, die er mit seinen geringfügigen Englischkenntnissen nicht übersetzen konnte. Mrs Peters formulierte ihre Frage deutlicher. Sie erhielt die Antwort, dass rund um Delphi nur sehr gute, sehr ruhige Leute wohnten – die alle Ausländer gerne mochten.
Die Worte wollten nur so aus ihr heraussprudeln, aber sie hielt sie zurück. Die finstere Drohung hinderte sie daran. Es könnte auch einfach nur ein Bluff sein. Aber wenn nicht? Einer Freundin in Amerika war auch ein Kind entführt worden, und als sie die Polizei informierte, brachte man das Kind um. Solche Sachen passierten.
Sie war kurz davor in Panik auszubrechen. Was sollte sie bloß tun? Zehntausend Pfund – wie viel war das? – irgendwas zwischen vierzig- und fünfzigtausend Dollar! Was war dieser Betrag schon im Vergleich zu Willards Sicherheit? Aber woher konnte sie sich eine solche Summe besorgen? Es war ja so schon schwierig genug, Bargeld abzuheben. Ihr Kreditbrief belief sich nur auf ein paar Hundert Pfund, und mehr hatte sie nicht dabei.
Würden die Gangster das verstehen? Würden sie vernünftig sein? Würden sie warten?
Als das Zimmermädchen bei ihr auftauchte, warf sie es wütend wieder hinaus. Die Glocke erklang zum Abendessen, und die arme Frau wurde in den Speisesaal getrieben. Sie aß, ohne nachzudenken. Sie sah niemanden. Der Raum hätte genauso gut auch leer sein können, was sie anging.
Als das Obst aufgetischt wurde, erhielt sie einen Zettel. Sie zuckte zusammen, aber die Handschrift war eine ganz andere als die, die sie zu sehen fürchtete – eine saubere, gut leserliche, englische Handschrift. Sie öffnete sie ohne großes Interesse, aber den Inhalt fand sie faszinierend.
In Delphi kann man sich nicht mehr an das Orakel wenden (so lautete der Text), aber Sie können sich an Mr Parker P y ne wenden.
Darunter war ein Zeitungsausschnitt mit einer Anzeige beigelegt, und unten auf der Seite war ein Passfoto angebracht. Es war das Foto ihres glatzköpfigen Freundes von diesem Morgen.
Mrs Peters las den gedruckten Zeitungsausschnitt zweimal.
Sind Sie glücklich? Wenn nicht, dann wenden Sie sich an Mr Parker Pyne.
Glücklich? Glücklich? War jemand jemals so unglücklich gewesen? Das war wie eine Antwort auf ihr Gebet.
Sie kritzelte schnell auf ein loses Blatt Papier, das sie zufälligerweise in ihrer Tasche mit sich trug:
Bitte helfen Sie mir. Würden Sie mich in zehn Minuten vor dem H o tel treffen?
Sie steckte den Brief in einen Umschlag und wies den Kellner an, ihn dem Gentleman am Fenstertisch zu bringen. Zehn Minuten später ging Mrs Peters in einem
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