Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
warum?«
»Du willst es loswerden. Und mich interessiert es jetzt wirklich.«
»Ehrlich?«
»Ja! Wenn ich es dir schon sage.«
»Weißt du, ich bin ja kein Idiot. Ich habe schon begriffen, was eine Oper ist. Nur, es ist irgendwie komisch, wie anders es war. Nachdem dieser Vicomte, also ihr letzter Lover, sie rausgeschmissen hatte, war sie dann Malermodell. Der Murger schreibt nur ›für Kopf und Hände‹, aber das glaub ich ihm jetzt nicht mehr. Weil, sie hat immerhin einen Selbstmordversuch mit Bleiwasser unternommen. Dass ihre Freundin Muzette auf den Strich gegangen ist, deutet der Murger schon an. Die Mimi hat dann einen totalen körperlichen Zusammenbruch erlitten, vielleicht Magersucht, wer weiß?, und ist noch einmal zu Rodolfo und Marcello. Der Rodolfo hat ihren Anblick nicht ertragen, ist aber eine ganze Nacht neben ihrem Bett gesessen.«
Sie ging stumm neben ihm her.
»Der Schluss ist grausam. Sie haben sie ins Krankenhaus einweisen lassen. Rodolfo wollte sie – übrigens auf Drängen Marcellos – noch einmal besuchen, da erhielt er von einem Assistenzarzt die Nachricht, Mimi sei tot. Die war aber nur in eine andere Abteilung überstellt. In ihrem Bett ist eine andere Frau gelegen. Die ist gestorben. Das hat der Arzt verwechselt. Mimi hat noch eine Woche verzweifelt auf Rodolfo gewartet, der ist aber nicht gekommen.
Sie hat ihm Briefe geschrieben, die hat das Krankenhaus aber gar nicht mehr weitergeleitet. Bei der endgültigen und richtigen Todesnachricht war Rodolfo geradezu erleichtert. Hab ich dir jetzt was kaputt gemacht?«
Er hatte das Gefühl, es reicht.
Ihre Antwort war nicht genau einzuordnen.
»Das kannst du nicht. Bis ich die Oper wieder einmal höre, habe ich das alles vergessen.«
Sie steuerten ein Bistro an. Da assoziierte der Student der Geschichte:
»Rodolfo und Marcello hatten ein Jahr nach Mimis Tod ihre ersten großen Erfolge. Da kam ihnen die Idee, wieder in ihr altes Billigrestaurant zu gehen und das Tagesgericht um ein paar Sous zu essen. Kurz vor dem Lokal verwarfen sie den Einfall, weil Marcello erklärte, nur mehr das ›Vorzügliche‹ zu ertragen.«
»Und das stört dich?«
»Überhaupt nicht. Nur, man muss wissen, dass die eben genau die Bürger werden, die sie vorher wahrscheinlich verachten.«
Sie blieb stehen.
»Kann schon sein. Aber vorher haben sie ein anderes Leben gelebt. Eines, das dir fremd ist. Das du nicht verstehst. Von dem du wissen willst, was daran wahr ist. Nicht böse sein. Aber das ist nichts für mich.«
Sie küsste ihn leicht auf die Wange und ging.
Er stand starr, begriff gar nichts.
Je länger er ihr nachschaute, desto lauter wurden in seinem Kopf die niederträchtig herrlichen Melodienbögen rund um das »Addio, senza rancor«.
Hund und Igel
BEI WUNDERBARER SPÄTSOMMERSONNE arbeitete das junge Paar im Garten. Der gehörte ihnen nicht. Es war auch nur ein Schrebergarten in einer Schrebergartensiedlung. Aber die Tante war ins Krankenhaus gegangen und hatte den Neffen gebeten, auf den Garten zu schauen, bis sie wieder gesund sei. Und wenn er das sorgfältig tun würde, dann würde sie ihm den Garten auch vererben. Das war für den jungen Mann, einen Studenten der Bühnenbildklasse, noch kein Grund, Pensionistentätigkeiten auszuführen, aber in diesem Schrebergarten stand auch eine kleine Holzhütte, und die wurde für ihn und eine kleine, kapriziöse Ballettelevin zum Paradies. Denn er wohnte in einer WG, sie noch bei ihren Eltern. Also waren Garten und Hütte ein beseligendes erotisches Refugium.
Manchmal brach auch Romantik aus, als man an Zukunft dachte. Nicht konkret an Heirat, beide hatten keine Lust, die üblichen Debatten – »Wovon wollt ihr denn leben?«, »Ihr seid doch noch so jung« u. Ä. – zu führen. Aber eine Endlichkeit ihrer Gefühle schien ihnen auch nicht denkbar.
Der Garten bestand, vom Rasenfleck abgesehen, aus zwei bejahrten Obstbäumen auf der einen und verwachsenen Rosenstöcken auf der anderen Seite. Ansonsten gab es noch ungepflegtes Buschwerk.
Sie stand elfengleich, mit Gartenhandschuhen ausgerüstet – die Tante hatte ihnen ja genau gesagt, wo alles zu finden ist – und einer Gartenschere vor den Rosen und versuchte, gemäß der telefonischen Anleitung ihrer Mutter, das Gemenge von dürren Trieben zu befreien. Er war den Pflaumenbaum ein wenig hochgeklettert, um zu klären, ob die Früchte oben nicht schon essbar und damit den Amseln zu entziehen wären.
Das blutjunge Paar war aber nicht allein.
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