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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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anderthalbzeilig getippte Seiten. Das war ein herrlicher Tag, und ich wollte ihn eine Weile genießen. Ich versuchte, nur an die milde Luft zu denken. Ich machte die Augen zu. Falls ich jemals die Absicht hatte, Edith an diesem Morgen reinen Wein einzuschenken: jetzt konnte davon nicht mehr die Rede sein. Ich konnte ihr unmöglich erklären, daß ich erstens mit Hélène Folley geschlafen hatte und daß zweitens ihr Opus nichts taugte.
    Ich wußte nicht, was in sie gefahren war. Ich las ein paar Passagen, die mich bestürzt hatten, rasch noch einmal, überflog einige andere, die gräßlich oder schlicht langweilig waren. Da war kein Fleisch, keine Substanz, das war nur ein trauriges Aneinanderreihen von Wörtern, die in ihren Gewändern Komödie spielten und Grimassen schnitten, aber ohne jede Spur von Leben. Das war die poetische Ader, die heutzutage veröffentlicht wird, Bücher, denen es mehr um den Schein geht als um ihre Seele und die anscheinend für einen Schönheitswettbewerb gemeldet sind – schöne Titten, aber frigide. Ich legte die Blätter auf meine Brust. Für mich gehörte Edith zu jener Handvoll Schriftsteller, bei denen ich Lust bekam, ein Buch zu kaufen, und die mich in heftige Aufregung versetzten, sobald ich nur ihren Namen sah oder eines ihrer Bücher aufschlug. Ich hoffte, daß sie noch lange zu leben hatten und daß noch mehr auftauchen würden. Und daß Gott sie davor behütete, anerkannt zu sein und ihr Talent der Norm zu opfern. Lang ist die Reihe derer, die ihre Gabe der Literatur zu Füßen gelegt haben. Glaubte Edith, sie müsse sich dem ihrerseits anschließen?
    Ich war wütend auf sie. Ich hatte das Gefühl, einen Hügel hinuntergestürzt zu sein, es verschlug mir den Atem. Wahrscheinlich beobachtete sie mich. Ich bemerkte, daß sie hinter mir stand, während ich überlegte.
    Sie lächelte. Für sie war ich ihr Lieblingsleser. Ich würde bald wissen, ob ich es bleiben sollte.
    »Edith, ich muß mit dir reden!« murmelte ich mit finsterer Miene.
     
    Ich war nicht sanft zu ihr, vielleicht war ich sogar ungerecht und böse, aber ich fühlte mich verletzt, und manchmal erstickte die Wut meine Stimme, sie riß mir die Blätter aus der Hand, und ich nahm sie ihr wieder ab, las ihr einige Stellen vor und grinste hämisch. Ihr Gesicht war bleich, sie kniff die Lippen zusammen, und nach einer Weile schaute sie mich nicht mehr an, und jeder Schlag von mir traf ins Ziel. Ich nahm es ihr fast übel, daß sie sich nicht mehr wehrte.
    »Was wolltest du beweisen?! Möchtest du einen Preis ergattern für deine feine Schreibe?! Meine Güte, Edith, ich hab noch nie sowas Beschissenes gelesen …! Wenn du so weitermachst, hast du bald deinen festen Platz auf den literarischen Galas. Dem guten Robert wird es eine Freude sein, dich zu begleiten!«
    Sie streckte die Hand aus, um ihr Werk an sich zu nehmen, und ließ mich stehen, ohne noch ein Wort zu sagen. Der Himmel hatte sich verfinstert. Sie schloß sich fast den ganzen Nachmittag in ihrem Arbeitszimmer ein, und am Abend redete sie nur mit ihren Töchtern. Es tat mir leid, daß ich so brutal gewesen war, aber ich fand, ich hatte recht. Im übrigen wußte ich nicht, ob sie viel Wert auf meine Meinung legte. Sie legte sich als erste hin. Und als ich auf das Bett zutrat, blickte sie mich frostig an und zog die Decke über ihre Brust.
    »Außerdem, was hast du schon für ’ne Ahnung?!« knirschte sie.
     
    Ich habe Ramona alles erzählt. Wir nutzten die Gelegenheit, da meine Mutter mit offenem Mund vor dem Fernseher saß – sie hatte sich eine Kassette des Sacre du printemps in der Version von Nijinski mit dem Joffrey Ballet besorgt und würde eine Zeitlang hin und weg sein –, um uns draußen, in der abendlichen Frische, niederzulassen.
    Sie fühlte sich noch ein wenig schwach, aber sie war wieder gesund, und einstweilen war Spaak in meiner Achtung gestiegen. »Sie ist schlicht und einfach von einer Katze gekratzt worden!« hatte er mir erklärt, nachdem er sie untersucht hatte. »Du kannst deine Schüssel erst mal wegräumen.«
    Ich nahm ihre Hand. Sie fand mein Abenteuer mit Hélène Folley eher amüsant und pflichtete mir bei, daß Edith sicher nicht begeistert sein würde.
    »Aber damit hast du auch nicht gerechnet, nehme ich an. Du hast sicher nicht erwartet, daß sie dir Beifall klatscht. Ich kann mir vorstellen, daß sie lieber die Wahrheit wüßte, aber weißt du, man will immer die Wahrheit wissen, selbst wenn man im Grunde nichts damit

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