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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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auf ihn verließen. Dann legte ich auf und schaute meine Mutter an.
    »Na schön … Was hat er gesagt?«
    »Emily Dickinson: ›Herz, wirst du wieder pochen? ‹«
    Eine Sekunde lang wirkte sie unsicher, mehr nicht.
    »Ich mache Handtücher naß«, verkündete sie mir.
    »Hast du nichts Größeres?«
    »Nein … Oder vielleicht Bettücher?«
    Wir trafen uns in Ramonas Zimmer. Es war noch nicht sehr spät, aber ich hatte das Gefühl, die Nacht sei schon verdammt lange herabgesunken und bewege sich nicht mehr. Die feuchte Hitze, die in dem Raum herrschte, schien direkt von Ramonas Körper aufzusteigen. Sie war mit einem Geruch von säuerlichem Schweiß und Moschus vermischt, der so stark war, wie ihn mir noch keine Umarmung jemals beschert hatte, doch ich erkannte ihn sehr gut wieder. Meine Mutter steckte ihre Haare zu einem Knoten zusammen. Ich zog mein Jackett aus. Wir blieben einen Moment nebeneinander stehen, am Kopfende des Bettes, während Ramona ein paar unverständliche Worte stammelte und zitterte, als hätte der Winter gegen ihr Fenster gehaucht.
    »So schlimm war es bei dir nicht …« tuschelte meine Mutter.
    »Viel hat nicht gefehlt …« antwortete ich.
    Ich denke mir, tief in unserer Erinnerung waren wir gleich weit von der Wirklichkeit entfernt, irrten wir beide: sie, indem sie mir nur ein leichtes Fieber zugestand, ich, indem ich mich im Geiste fast von konvulsivischen Zuckungen erfaßt sah.
    Wir überlegten, wie wir es am besten anfangen sollten. So sehr wir uns auch bemühten, Ramona war nicht in der Lage aufzustehen, und wir waren nicht einmal sicher, ob sie verstand, was wir von ihr wollten. Kaum richtete sie sich auf ihrem Bett auf, ließ sie sich wimmernd und murmelnd wieder fallen, und ich wollte nicht den Versuch machen, sie hinunterzutragen. Also keine Badewanne.
    Wir gingen los, um große Schüsseln zu holen. Wir nahmen sämtliche Eiswürfel aus dem Gefrierfach, stellten alle möglichen mit Wasser gefüllten Gefäße hinein und drehten ihn voll auf. Ich rauchte eine Zigarette, während sich meine Mutter eine Schürze um den Hals knotete und mir einmal mehr sagte, niemand habe voraussehen können, daß sich mein Zustand innerhalb weniger Stunden so sehr verschlimmern würde.
    »Ramona ist aber geblieben …«
    »Liebling, Ramona ist keine Tänzerin! Außerdem weißt du ganz genau, daß ich Martha schon 1951 verpaßt hatte … Du kannst nicht verstehen, was das für mich hieß. Wie soll ich dir erklären, was ich an jenem Abend empfand … Ach, ich war einfach verrückt vor Freude, ich glaube, ich habe fast geweint.«
    »Und währenddessen stand ich mit einem Fuß im Grab!«
    »Komm! Wie kannst du solch einen Unfug erzählen?!«
    Zurück in Ramonas Zimmer, verstummten wir. Wir rollten sie vorsichtig von einer Bettkante zur andern, um eine Gummiunterlage unter sie zu schieben. Plötzlich klammerte sie sich an meinen Hals, hätte mir fast die Nase mit ihrer feuchten Stirn zermalmt, dann murmelte sie mit trunkener Stimme meinen Namen und versank wieder in ihren Kissen. Ich setzte mich neben sie, während meine Mutter mit den beiden Schüsseln hinausging.
    Ich nahm ihre Hand. Ihr Gesicht schimmerte feuerrot, ihre Augen glänzten, tränten. Ihre Hand war weich und heiß wie ein Bratapfel. Ich hatte das Empfinden, mit ihr zu reden nutze nichts, verstärke nur das Gefühl der Abwesenheit und zweier hermetisch abgeschlossener Welten. Ihr Nachthemd konnte man auswringen, aber ich wollte es nicht anfassen, für diesen Tag hatte ich genug Nacktheit gesehen. Ich hörte das Wasser laufen, und Eiswürfel, vermutlich von meiner Mutter geschüttelt, stießen aneinander, rieben sich klickernd an dem Plastikeimer. Ramona erzitterte von Zeit zu Zeit und klapperte mit den Zähnen. Sie wußte nicht, was sie erwartete.
    Meine Mutter stellte eine Schüssel ans Fußende des Betts. Ich nahm ein Bettuch und tunkte es hinein, nachdem ich mir die Ärmel hochgekrempelt hatte. Es war nur wenig Wasser darin, aber es war, wie gewünscht, eiskalt. Meine Mutter und ich hätten uns am liebsten damit besprengt, so stickig war es in dem Zimmer.
    »Sie hat mir erzählt, du seist ganz blau geworden …«
    »Meine Güte … Und wie war der Abend?!«
    Meine Mutter zog ihr das Nachthemd aus. Ich erhob mich mit dem tropfnassen Tuch, die Finger steif vor Kälte, und sie schlotterte. Ich kam mir überhaupt nicht toll vor.
    Als ich ihre Schultern umwickelte, war mir, als brächte ich sie um. Ein fürchterliches, düsteres, unheimlich

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