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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Jedenfalls wurden wir häufig ihretwegen ins Bett geschickt, naja, so sah ich das. Ansonsten ließ sie uns in Frieden.
    Der Typ an der Rezeption war halb eingeschlafen. Edith ging als erste, vornübergebeugt wie ein Sioux, lautlos wie eine Schlange. Ihr nach Oli und ich. Ich hielt ihn fest, um sicher zu sein, daß nichts passierte.
    Die Straße war schneebedeckt. Es blies ein eisiger Wind, der die Straßenlaternen schüttelte. Wir kniffen die Augen zusammen. Keine Menschenseele war zu sehen. Wir rannten an den Hausmauern entlang. Ich hatte vor, meinen Geburtstag ins Feld zu führen, wenn die Sache schiefging. Oder daß ein Typ im Flur des Hotels herumstrolche, der uns Schiß eingejagt hatte.
    Edith lotste uns zu einer etwas zurückliegenden Tür auf der Rückseite des Theaters. Sie führte zu einem kleinen Raum, in dem die Mülltonnen standen und ein paar kaputte Werkzeuge auf einem Arbeitstisch herumlagen. Von diesem Tisch aus konnte man durch ein Oberlicht klettern, an dem die Scheibe fehlte.
    »Wir kommen hinter den Logen raus«, erklärte sie uns. »Und dann gehen wir durch den Orchestergraben weiter.«
    Das war der ideale Weg. Wir konnten uns rechts und links umsehen und uns überlegen, ob wir uns zeigen wollten oder nicht, je nachdem, was für ein Gefühl wir hatten. Ich schwang mich auf den Tisch, schob meinen Kopf durch die Öffnung. Man sah kaum etwas, jedoch genug, um zu merken, daß die beiden Räume nicht auf gleicher Höhe waren, der Boden war mindestens einen Meter tiefer, soviel ich sah.
    Ich sprang hinunter. Der Raum war mit klapprigen, übereinandergestapelten Stühlen vollgepfropft und stank wie ein feuchter Keller. An einer der Wände waren zwei helle Rechtecke, zwei Lüftungsgitter, die uns vor völliger Dunkelheit bewahrten. Auf der anderen Seite waren Stimmen zu hören. Ich drehte mich zu den beiden anderen um und legte einen Finger vor den Mund.
    »Das ist mein Vater …« murmelte Edith und wischte dabei ihre Hände an ihrem Rock ab. »Und daneben ist, glaube ich, ein Flur.«
    Ich stellte mich vorsichtig an das erste Gitter und erblickte ihren Vater, der quer auf einem flachen Sessel lag und mit einem Ei spielte. Er schien mit sich selbst zu reden, aber von da, wo ich war, konnte ich nicht die ganze Loge einsehen. Ich verstand auch nicht, was er sagte, denn im Augenblick war seine Stimme nur ein kaum hörbares Tuscheln.
    »Was treibt der denn da?« fragte ich.
    Edith zuckte mit den Schultern. Wir beschlossen, daß das nicht besonders interessant war. Wir stiegen ein paar Stufen hinab, durchquerten eine zweite Rumpelkammer, die ebenfalls auf einer Seite mit diesen Lüftungsgittern versehen war, durch die gerade so viel Licht fiel, daß wir uns durch das Durcheinander schlängeln konnten, das dort herrschte, dann gelangten wir in den Orchestergraben.
    Edith und ich schauten uns an.
    »Wo sind wir?« fragte Oli.
    Es war kein Ton zu hören, höchstens ein dumpfes, fernes Gemurmel von den Logen her. Ich kletterte auf die Vorderseite der Bühne.
    »Henri-John, du bist noch da?!«
    Trois Montaigu lag dösend auf Julias Bett.
    »Meine Mutter hat gesagt, ich könnte wiederkommen …«
    »Nein, für heute ist Feierabend. Du solltest besser nicht hier herumlungern, sonst wirst du am Ende noch eingesperrt.«
    »Jaja, ich bin nicht blöd.«
    Ich kehrte zu den beiden anderen zurück.
    »Wir sind umsonst gekommen! Sie gehen ins Hotel. Hauen wir schleunigst ab!«
    »Hm, toll hingekriegt«, murmelte Edith und zog Oli am Ärmel mit. Lautlos, enttäuscht schlichen wir den gleichen Weg zurück. Ich hatte keine Lust, jetzt noch erwischt zu werden. Das war die Sache nicht wert.
    Ich zwängte mich bereits in den Rahmen des Oberlichts, um auf die andere Seite zu kriechen, als Oli leise hervorstieß: »Oh, là, là! Guck dir das an!«
    Ich drehte mich um und sah ihn vor dem Gitter stehen, durch das ich vor einigen Minuten seinen Vater beobachtet hatte.
    »Was denn? Was ist los?« fragte ich ungeduldig, während ich mit Edith hinter ihm auftauchte. »Wir haben jetzt keine Zeit für …«
    Diesmal war eine Frau zu sehen. Sie stand mit dem Rücken zu uns. Sie trug eine Art chinesischen Morgenmantel, auf dem ein Drache mit weit aufgerissenen Augen abgebildet war, aber was mir den Atem verschlug, war etwas anderes als der Anblick dieses Tieres.
    Ich packte Oli am Arm, damit er aufhörte zu glucksen.
    Die Frau fuhr fort, sich in den Hüften zu wiegen und quälend langsam ihr Kleidungsstück nach oben zu schieben. Zwischen

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