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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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das liegt nicht nur an dieser Gluthitze, die uns seit einigen Tagen quält.
    Ich war dabei, mich im Garten zu erfrischen, mit einem Schlauch. Wir waren allein, Elisabeth und ich. Ich habe sie nicht gefragt, aber ich vermute, sie war gefallen, denn sie hielt ihren Ellbogen in eine Schüssel mit Eiswürfeln. Sie lag auf einem Liegestuhl. Und sie war offenbar nervös, denn kaum hatte sie ein paar Tropfen abgekriegt, meinte sie zu mir: »Kannst du nicht aufpassen?!«
    Ich habe ihr gesagt, sie soll sich zum Teufel scheren. Und dann artete das rasch aus. Die Sonne brachte mich zur Weißglut.
    »Keinen Finger hast du gerührt! Du hast ihn gehen lassen, ohne einen Ton zu sagen, glaubst du, ich hab euch nicht gesehn?!«
    »Ich weiß nicht, was du gesehen hast. Und hör auf zu schreien, ich bin nicht taub. Ich glaube nicht, daß es die beste Lösung gewesen wäre, ihn zurückzuhalten.«
    »Aber ihn gehen zu lassen, das war einfach! Und das Herz hat es dir auch nicht gebrochen, wie ich sehe!«
    »Ich erlaube dir nicht, so etwas zu sagen. Ich verlange nicht, daß du mich verstehst, aber laß mich bitte damit in Ruhe.«
    »Das ist alles, was dich interessiert, deine Ruhe! Das ist das einzige, was dich jemals interessiert hat! Du warst doch nur von Zeit zu Zeit seine Mutter, wenn es nicht zu kompliziert war!«
    Das war starker Tobak. Ich war wie von Sinnen, ich hätte ihr alles mögliche an den Kopf werfen können. Ich sah, daß ich einen wunden Punkt getroffen hatte. Ich begoß mir weiter die Füße, ohne es zu merken. Es mag einem blöd vorkommen, aber was mich daran hinderte, mich auf sie zu stürzen, war ihre Schönheit. Sie machte sie geheimnisvoll, rückte sie außer Reichweite, eine Art Schutzschild, der mich zögern ließ. Ich wußte genau, daß die Dinge nicht so simpel waren, wie ich behauptete. Ich sah da klarer, als sie vielleicht glaubte. Mehr als einmal hatte ich Henri-John erklärt, wie ich darüber dachte, daß sie nicht so gefühllos war, wie er meinte, daß sie eine merkwürdige, verschlossene, erstaunliche Frau sei. Aber die Worte sprudelten aus meinem Mund, ohne daß ich etwas dagegen tun konnte, sie schossen hervor, als würde ich mich übergeben.
    Bei ihrem Blick war mir, als zerspränge ich in tausend Stücke. Ich würde ihr, wenn ich erwachsen bin, gern gleichen. Das ist etwas, das habe ich noch niemandem gesagt und auch noch nie geschrieben. Jetzt ist es geschehen, und ich habe das Gefühl, es tröstet mich. Ich glaube, die Worte hallen irgendwo wider, wenn sie erst einmal auf dem Papier stehen. Ich glaube, jetzt kann sie fühlen, wie leid es mir tut, daß ich mich mit ihr gestritten habe. Ich habe sie verletzt. Sie hat gesagt: »Ich weiß nicht, ob du recht hast oder nicht … Ich hoffe aber, daß du dich täuschst.«
    Ich bin davongelaufen. Ich zitterte wie Espenlaub. Alice saß im Wohnzimmer. Ich setzte mich neben sie, ich war wie vor den Kopf geschlagen. Alice ist der Typ, einen in Ruhe zu lassen, wenn sie sieht, daß etwas nicht in Ordnung ist. Ich blickte auf das Buch, das sie vor sich hatte. Ich las: »O Wölfe, glaubt ihr, ich sterbe? Wölfe, überschwemmt mich mit schwarzem Blut.«
    Ich kehrte den ganzen Sommer kein einziges Mal in das Haus zurück. Die paar Mal, die ich mit meiner Mutter telefonierte, zogen nur unangenehme Diskussionen mit Anna nach sich. Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, daß sie von morgens bis abends an der Strippe hinge und mit ihrer lieben Mutti spräche, ob ich eines Tages unter ihren Röcken hervorzukriechen gedächte. Ich verteidigte mich nach Kräften, aber sie kam immer wieder auf diese Sache zurück, daß sie nicht mit einem Typ zusammenleben wolle, der frisch aus dem Nest gefallen sei, daß sie ihre Zeit nicht vergeuden wolle und daß ich sie mal anschauen sollte: Wenn ich eine Frau haben wollte, mußte ich ihrer würdig sein. Diese Worte stopften mir dann endgültig den Schnabel. Mein Geist verwirrte sich, wenn ich sie so reden hörte, und sie stand vor mir und war alles, was ich wollte. Ich schaffte es nicht mehr, an etwas anderes zu denken. Die Welt ringsum löste sich auf, und diese kleinen Qualen, die sie mir hin und wieder zufügte, waren wirklich ein geringer Preis dafür, sie bei mir zu haben.
    Wenn ich mitunter einen Geistesblitz hatte, spürte ich, daß sich in meinem ganzen Körper etwas wand oder spannte, als würde es bald reißen. Ich hatte den Eindruck, meine Haut werde jeden Moment platzen, so als ob ein neues Wesen ans Licht der Welt

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