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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ich habe diese Geschichte fast schon vergessen. Aber das Licht ist nicht zurückgekehrt, und ich kann nichts dagegen tun. Ich habe es nach Kräften versucht.
    ›Was dich nicht tötet, macht dich stark.‹ Ich weiß nicht, wo er das her hat!«
    Ich trank schweigend mein Glas aus. Da ich mich nicht imstande fühlte, ein Wort zu sagen, reichte ich Oli den Brief, dann stand ich auf und ging zur Toilette.
    Das Wasser war nicht so kühl, wie ich gehofft hatte, vielleicht hatte ich auch wer weiß was erwartet. Dafür war die Mauer stabil gebaut, und ich konnte mich eine Weile dagegen lehnen und mich im Spiegel betrachten. Doch ich kam nicht einmal auf den Gedanken, mich zu kämmen.
    Dann ging ich zu Oli zurück. Ich bremste ihn mit einer Armbewegung, bevor er den Mund aufmachte.
    »Reden wir nicht davon«, forderte ich ihn auf und nahm meinen Brief wieder an mich. »So. Und diese Giuletta, wie ist sie?«
    Ich hatte mich schon lange nicht mehr hinter die Kulissen eines Theaters verirrt. Ihr Geruch übte eine beruhigende, euphorisierende Wirkung auf mich aus, wie ich sie an keinem anderen Ort der Erde kennengelernt hatte. Ich atmete tief durch, während wir auf den Rand der Bühne zusteuerten.
    Die Aufführung war rasch vorüber. Wir waren in der Bar des Lowell, in der klimatisierten Luft hängengeblieben, denn der Lärm der Straße war heiß und feucht zu uns hereingedrungen, und als wir endlich aufbrechen wollten, war ein Typ an unseren Tisch getreten. Er hatte mir ohne Umschweife erklärt, er sei Zauberkünstler und habe einen Termin bei dem Direktor eines Kabaretts in San Francisco.
    »Ich beobachte Sie schon eine Weile … Sind Ihre Tricks zu verkaufen?«
    »Das sind keine Tricks. Das sind Knoten.«
    Ich hatte nichts dagegen, ihm ein paar zu zeigen. Er pfiff bei jedem durch die Zähne, fächelte sich mit seinem Scheckheft Luft zu. Er kam mit zwei weiteren Daiquiri davon. Und ich überließ ihm meine Kordel. Ich hatte noch eine.
    »Houdini hätte sich Ihnen zu Füßen geworfen!« hatte er mir nachgerufen, als ich in Olis Gefolge in der Drehtür verschwunden war.
    Ich schaute gerade einer der Neuerwerbungen des Sinn-Fein-Balletts zu, als Jérémie neben mir auftauchte.
    »Was hältst du von ihr?« fragte er mich.
    »Ein wenig unterkühlt. Zu akademisch. Sie tanzt ihre Bahn zu Ende, als wäre damit alles gesagt.«
    »Mmm … Gib ihr noch drei Monate. Sie war nicht in guten Händen, weißt du. Stell dir vor, sie hat mit der Stange auf dem Boden gearbeitet …«
    Wir unterhielten uns noch eine Weile, als hätten wir eine Diskussion vom Vortag wiederaufgenommen. Ich hatte das Gefühl, als wäre es dieselbe, die wir dreißig Jahre zuvor begonnen hatten. Die Zeit verging, aber Jérémie war immer noch da, nüchtern und ergraut, und wahrscheinlich einer der besten Lehrer der Welt. Über alles andere als Tanzen hingegen hätte sich ein Gespräch mit ihm nach fünf Minuten erschöpft.
    Er erklärte mir gerade, daß er sie mit dem Oberkörper arbeiten ließ, als Oli kam, um mir mitzuteilen, daß Giuletta auf uns warte.
    »Sie ist uns doch nicht böse, daß wir zu spät gekommen sind?!«
    Wir beeilten uns. Sein Humpeln machte sich dabei stärker bemerkbar.
    »Ich habe ihr gesagt, du hättest sie großartig gefunden.«
    »Na prima. Bloß keine Hemmungen!«
    Wir hörten den Applaus im Saal, als wir die Garderobe betraten.
    »Hallo!« sagte sie zu mir und reichte mir ihre kleine Hand.
    Fünfzehn, das war das höchste der Gefühle, wenn man ihr Alter schätzen wollte. Da hatte sogar die junge Dame letzten Sommer, mit der sich Oli einige Scherereien eingehandelt hatte, älter ausgesehen. Es lief mir kalt den Rücken herunter, als ihre Hand in meiner verschwand. Entweder hat sie Wachstumsstörungen, dachte ich, oder Oli ist verrückt geworden.
    »Findest du denn nicht, daß sie eine wunderbare Figur hat?«
    Wir saßen in einem Restaurant an der Spring Street. Ich hatte um einen Tisch hinten im Saal gebeten, in einer Ecke, die mir weniger hell erleuchtet schien, doch trotz der Vielzahl von Irren, die einem in diesem Viertel über den Weg liefen, schauten uns die Leute ganz komisch an. Ich war darauf gefaßt, daß jeden Moment die Polizei aufkreuzte. Giuletta war Zigaretten holen gegangen, aber es hätte mich nicht überrascht, wenn sie mit einer Handvoll Dauerlutscher zurückgekommen wäre.
    »Es geht nicht um ihre Figur. Meine Güte, warum machst du dir das Leben unnötig schwer?!«
    »Mmm … Ich mache es mir eher leicht, wenn du mich

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