Pas de deux
parierenden Stößen ausweichen. Ich fand mich mit den großen Vorträgen ab, die mir meine Mutter über die richtige Art hielt, die Welt anzugehen, und umkurvte geschmeidig die Reden, die Alice oder Ramona schwangen, wenn sie mich zu erweichen suchten. Und plötzlich, zu einem Zeitpunkt, wo ich überhaupt nicht darauf gefaßt war, erzählte mir ein quasi Unbekannter irgendeinen Quatsch, und ich geriet ins Taumeln.
Ich wollte ihm nach, ihm ein für allemal die Meinung sagen, aber er war bereits weg.
Ich verbrachte den Rest des Tages im Wasser, trank ein paar Bier mit Irving. Wir schrieben den 15. August. Die Aufstände von Watts hielten seit fünf Tagen an, und die ›Beatles‹ traten im Shea Stadium auf, im Radio hieß es: fünfundsechzigtausend Zuschauer außer Rand und Band, und er fluchte darüber, aber ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Ich hatte andere Sorgen. Und ich sah auch nicht ein, daß Bierpicheln im Abendlicht, auf einem Liegestuhl mit einem Hühnchensandwich in der Hand, die ideale Haltung war, um an dem Leben in den Ghettos Anteil zu nehmen.
Mit seiner trüben Stimmung konnte ich mich jedoch anfreunden. Ich hatte auch keinen überragenden Anlaß zur Freude. Nicht nur, daß mich diese Sache mit dem Pinkeln gegen den Wind beschäftigte, auch mein Techtelmechtel mit Meryl machte keinerlei Fortschritte. Ich hatte den Eindruck, daß sich alles verfinsterte. Oli entzog sich mir, und Edith fing grundlos an zu lachen. Dazu Irving, der neben mir Trübsal blies, aber die einzig annehmbare Gesellschaft war.
Ich hatte das Gefühl, daß Oli inzwischen im Vorteil war. Es waren nur unscheinbare Details, die mir dies sagten, aber ich schätzte, daß er viel näher am Ziel war, als er selbst glaubte. Abends hatte ich Schwierigkeiten, einzuschlafen. Ich konnte ihm noch so viele Beinchen stellen und mir das Gehirn zermartern, um ihm eins auszuwischen, sein Vormarsch war unaufhaltsam. An seiner Stelle wäre ich längst aufs Ganze gegangen, und tatsächlich hinderte nicht ich ihn daran, sondern die Gefühle, die er für sie hegte. Das trübte ein wenig seinen Kopf, hüllte ihn in eine solch schwere Rüstung, daß er Mühe hatte zu reagieren. Ich schäumte schweigend, aber das war keine kalte, strahlende, befreiende Wut. Das war das genaue Gegenteil.
Ich mache mir Gedanken um Oli. Genaugenommen gibt mir nur Evelyne keinen Anlaß zur Sorge. Ich sehe sie überdies mit anderen Augen, seit ich zurück bin. Es kommt zwar noch vor, daß ich die Nächte zähle, die sie außer Haus verbringt, aber das ist eine Art Reflex und löst nicht mehr viel in mir aus. Letztens hat sie mich von unten her angeschaut, weil ich im Garten mit einem Typ quatschte, der auf sie wartete und der mir, jaja, bis auf ein, zwei Kleinigkeiten gar nicht so übel vorkam, zumal ich ja nicht mit ihm ausgehen mußte. Und gestern erst sind wir beide uns in der Küche begegnet, gegen ein Uhr morgens, bei einem meiner nächtlichen Geheimausflüge zu einem Kühlschrank, der besser gefüllt ist als meiner. Wir haben uns an eine Ecke des Tisches gesetzt. Ich hatte nie darauf geachtet, daß wir mit diesem Heißhunger, der uns mitten in der Nacht überfiel, zumindest eines gemeinsam hatten. Und obwohl das noch ein wenig neu für mich war, glaubte ich doch gewisse Züge in unser beider Wesen zu erkennen, die einander ähnlich waren, eine Sache, die mir noch nie aufgefallen war und die mich auch jetzt noch erstaunt. Sie fand, mein Einsiedlertum habe auch sein Gutes, ich würde allmählich ein annehmbarer Vater, sagte sie lachend, na ja, ich sei auf dem besten Weg.
»Ich will dir nicht verhehlen, daß der Weg lang ist«, habe ich gemurmelt.
Vielleicht nimmt das nie ein Ende. Zum Beweis hätte ich nur den Himmel anzuschauen brauchen, und ich hätte ein Blau entdeckt, das ins Violett spielte, ein Rosa, das mich ratlos gemacht hätte. Ich glaube, Eléonore hat zur Zeit einigen Kummer, aber sie hat mir nichts davon erzählt. Muß ich mit einem Helm auf dem Kopf nach draußen gehen?! Der Weg ist nicht so lang, aber er endet nie. Einem Hindernis ausweichen heißt auf ein anderes stoßen. Es gibt nichts Festes unter unseren Füßen. Der Geist muß locker bleiben.
Schlage mich da, wo ich nicht damit rechne. Verwandle meinen Weg in ein Meer von schroffen Felsen, und ich werde von einem zum andern springen, denn du hast mir Beine gegeben und Verpflegung und hast mich mitgezogen. Gibt es neue Schwierigkeiten, finstere Prüfungen am Horizont? Und werden sie von dir
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