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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Seite zog. Wir wußten noch nicht, daß sie ihn nur tröstete, und es verschlug uns den Appetit, wenn sie ihn in ihre Arme schloß. Außerdem fand ich, trösten und trösten war zweierlei. Ich bezweifelte, daß sie ihn mit ihren zarten Küssen bedeckt hätte, wenn er den Schädel und die Wangen von Quasimodo gehabt hatte.
    »Ich stelle fest, es gibt Dinge, die du nicht verstehen kannst«, meinte Edith zu mir.
    Wir schauten zu, wie die weiche Zuckermasse am Ende unserer Stäbchen schmolz. Die anderen waren im Wasser. Wir waren hinausgegangen, weil das Feuer erlosch.
    »Könntest du nicht eine andere Platte auflegen?« antwortete ich.
    »Pah, ich würde das gleiche mit dir oder Oli machen. Was hieße das schon?«
    »Mmm … Ich kann mir nicht vorstellen, daß du unsere Tränen abwischst. Das ist nicht deine Art.«
    »Soso, ich kann mich aber nicht erinnern, daß ihr mir jemals Gelegenheit gegeben hättet. Außerdem wirkt Irving so zerbrechlich …«
    »Ihr solltet euch zu zweit daranmachen.«
     
    17. Juli 1965
    Sie haben nichts von all dem, was ich an ihm liebe. Vor allem Irving nicht. Ich weiß nicht, was das ist. Ich möchte keinen, der auch nur die Hälfte seiner Fehler hat. Bin ich noch ganz bei Trost?
    Um auf Irving zurückzukommen: Vielleicht hätte ich mich letztes Jahr noch mit ihm eingelassen. Jetzt habe ich davon die Nase voll. Und Henri-John hat recht, wenn er behauptet, daß ich keine mütterliche Ader habe. Ich habe keine Lust, jemanden in den Armen zu wiegen. Man muß zugeben, man findet sie nicht an jeder Ecke, die Typen, die von innen leuchten … Und ist das nicht immer ein Kampf mit ihnen?! Heute abend hätte ich ihn fast ins Feuer gestoßen. Trotzdem bin ich fröhlich, denn ich schreibe diese Zeilen draußen, in einer wunderbaren Nacht, und mir ist, als ziehe mich der Himmel an.
     
    Eines Morgens traf Irvings Frau aus New York ein. Ich verstand schnell, warum er sich scheiden lassen wollte. Er wollte mir gerade zeigen, wie man mit einer Angelrute umgeht. Sie riß ihm die Ausrüstung aus den Händen und warf sie mitten ins poison ivy. Ohne einen Ton zu sagen. Sie war grün im Gesicht, und ihre Lippen zitterten vor Wut. Ich dachte, er werde ihr nach einem solchen Tiefschlag an die Kehle springen, ich war überdies einen Schritt zurückgewichen. Aber er wandte sich nur ab und ging nach Hause. Und sie folgte ihm wild gestikulierend. Mir blieb die Spucke weg.
    Meryl erklärte mir, sie seien seit zwei Jahren verheiratet und es stehe nicht gerade gut um sie. Das fand ich auch. Wir kehrten aus Truro zurück, von einem Abstecher zum Supermarkt, und ich fuhr so langsam wie möglich. Ich visierte die Schlaglöcher an, hüpfte auf der Sitzbank, um näher an sie heranzurücken. Ich saß fast in der Mitte, unter dem Rückspiegel, aber sie rührte sich keinen Millimeter. Fast hatte ich Oli im Verdacht, ihren Sitz mit Leim bestrichen zu haben.
    Sie sorgte sich einzig um Irving. Es ist hart, mit einem Mädchen durch die Gegend zu fahren, das die Stirn runzelt. Es setzte ihr zu, ihn in diesem Zustand zu sehen. Anscheinend machte ihm sein Vater das Leben sauer, weil man sich bei den Collins, stockkatholischen Leuten mit puritanischem Firnis, um das Maß voll zu machen, nicht scheiden ließ.
    »Weißt du, vor seiner Heirat hat er überhaupt nicht getrunken …«
    »Ach, das ist nur die Hitze«, wiegelte ich ab.
    »Nein, Henri-John, das ist nicht die Hitze. Aber diese Hochzeit, mein Gott, was für eine Dummheit! Jeder wußte, daß das nicht klappen konnte.«
    »Aha! Na ja, in der Tat …«
    »Aber du kannst dir nicht vorstellen, welchen Druck sein Vater auf ihn ausgeübt hat. Es war widerlich!!«
    Sie biß die Kieferbacken zusammen, starrte auf die Straße, ohne sich weiter um meine Anwesenheit zu scheren. Mir unter diesen Umständen ihr Knie zu packen hätte nicht viel Sinn gehabt. Kein Zweifel, ich hätte meinen Kopf gegen ihre Schulter lehnen können, sie hätte es gar nicht gemerkt, wozu also?
    Ich weigerte mich, dieses Fiasko – ich hatte mir eingebildet, es reichte, wenn man uns fünf Minuten allein ließ – als Niederlage anzusehen. Selbst wenn ich der Typ gewesen wäre, von dem sie ihr Leben lang geträumt hatte, wären meine Chancen nicht besser gewesen. Sie war ganz von Irvings Problemen beherrscht, und wenn sie darüber nachsann, konnte man ihr auf der Nase herumtanzen und das Hohelied von allem möglichen anstimmen, ohne daß es etwas gebracht hätte. Ich bedauerte nur, daß ich mich nicht auf der

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