Pas de deux
begeisterten uns längst nicht mehr so wie früher. Wir vernahmen nur noch den Lockruf der Neuen Welt, deren Literatur und Musik sich schon so lange über unsere Köpfe ergoß. Das ging so weit, daß Oli und ich während des gesamten Fluges nebeneinander hockten und wie alte Kumpane palaverten, die keine Kanonenkugel zu trennen vermag.
Einige Tage lang schützte uns eine sanfte Euphorie vor unserem Zwist. Uns stand ein Dodge-Kombi zur Verfügung, der uns, meinen compadre und mich, bei der geringsten Gelegenheit auf eine wunderbare Spritztour in die Stadt brachte. Es gab im Hafen immer etwas zu gucken oder zu hören und in der Hauptstraße immer irgend etwas zum Beißen. Mein Verlangen nach Meryl und seine Leidenschaft für sie gingen in unserer immensen Gier nach allem, was ringsum war, unter. Außerdem waren da die endlosen Ausflüge ans Wasser, die Erkundungen benachbarter Strände und die nächtlichen Touren, die jeden erschöpft hätten. Woher hätten wir die Kraft zu einem quälenden Ringen nehmen sollen, woher den geringsten Spielraum, wenn unser Kopf voll war?
Meryl hatte zudem eine Menge Freunde in der Gegend. Ständig brannten große Feuer am Strand, wurden links und rechts gediegene Feten veranstaltet. Meistens wußten wir gar nicht, wo uns der Kopf stand. Das hieß nicht, daß wir Meryl vergessen hatten, aber es gab nur selten Gelegenheit, sich länger als fünf Minuten mit ihr zu unterhalten. Ich würde sagen, die ersten vierzehn Tage verstrichen in einer Art Waffenstillstand, in einer Atmosphäre wie kurz vor Weihnachten, wenn sich selbst die größten Rohlinge nach Frieden sehnen.
Ich machte mir jedenfalls nicht mehr so viele Gedanken. Ich hatte keine Angst mehr, die beiden allein zu lassen, und das aus dem schlichten Grund, daß immer jede Menge Leute da waren. Zumindest beruhigte ich mich, bevor ich mich woandershin schleifen ließ. Ich hatte meinen Spaß, wenn ich ihn Grimassen schneidend und händereibend auf sie zugehen sah und ihnen eine fröhliche Bande auf die Pelle rückte, um den kleinen Franzosen, ein gefundenes Fressen, ganz Paris unverfälscht präsentiert zu bekommen, so schnell nicht loszulassen. Manchmal schickte ich ihnen auch ein paar, wenn ich fand, daß sie allmählich eingreifen konnten, dann entfernte ich mich leichten Herzens.
Außerdem hatte ich zwei Vogelscheuchen von ungefähr fünfzehn Jahren an der Hand, die für Frankreich schwärmten und für diesen hübschen Jungen, dem sie wie gebannt an den Lippen hingen, um sich jedes seiner Worte auf der Zunge zergehen zu lassen, bevor sie es mit einem schmachtenden Seufzer verschlangen. Sie wohnten direkt nebenan und entwischten ständig ihrer Gouvernante, um sich in unsere Gegend vorzuwagen. Ich ermunterte sie, bei uns vorbeizukommen, sich für das Pariser Leben zu interessieren. Ich sah ihn erbleichen. Diese beiden Mädchen waren fürchterliche Waffen.
Sie hatten einen Bruder, Irving, ein Typ, der ein wenig älter war als ich und jede Menge trank. Er war Meryls bester Freund. Er war so schön, daß man kein Hellseher sein mußte, um seinen Namen auf Ediths Liste zu setzen. Dabei war er ein charmanter, fast schüchterner Kerl, der ganz Cape Cod wie seine Westentasche kannte und ein Bier in sieben Sekunden kippte, die Uhr in der Hand. Wenn er neben seinen Schwestern stand, fragte man sich, wie die Natur so ungerecht sein konnte: Alles, was an ihm angenehm wirkte, war bei ihnen das genaue Gegenteil, von der Haarfarbe bis zur Stimme. Als ich erfuhr, daß sie Klavierspielen lernten, brach mir der kalte Schweiß aus.
Ihr Vater war Richter William Sidney Collins, ein, wie es hieß, recht strenger Zeitgenosse, einer dieser Spaßvögel, die geradewegs aus dem Scharlachroten Brief ausgebrochen sind. Zu sehen bekam man ihn nie, aber man spürte seine Anwesenheit bis in die Baumwipfel, und sein Haus schien vor ihm zu zittern. Meines Erachtens wagten es nur seine beiden Töchter, seinen Zorn herauszufordern, wenn sie unerlaubt stiftengingen, aber, wie Oli sagte: Man wußte nicht, was er ihnen hätte antun können. So ungefällig war ihr Äußeres, daß man sich nur schwer einen Vater vorstellen konnte, der hartnäckig dem leibhaftigen Bild der Plumpheit nachstellte und die Hand gegen zwei Gesichter erhob, die zu ohrfeigen jeden Morgen der Spiegel übernahm.
Dafür kriegte Irving alles ab. An irgendwem mußte der Richter seine Wut abreagieren. Anfangs, als wir noch nicht im Bilde waren, zuckten Oli und ich zusammen, wenn Meryl ihn zur
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