Patentöchter
ihrer Festnahme.
Ich erinnere mich nicht an die Journalisten, die in den Tagen nach der Tat vor unserer Tür standen, um einen von uns zu erwischen. Oder an die junge Frau, die, mit einem Blumenstrauß als Botin eines guten Grußes getarnt, die Treppe hochkam und versuchte, ein Foto zu erhaschen. Meine Mutter erzählt, dass sie an einem der folgenden Tage mit unserem Hund Walja durch den Jenischpark spazieren ging. Überall standen Trauben von Menschen. Im Vorübergehen hörte sie unseren Familiennamen, und es war klar, dass alle nur über Susanne sprachen.
Meine Mutter erzählt, wie sie ein paar Tage nach der Tat in den Buchladen ging, um ein Buch abzuholen. Als sie der Verkäuferin sagte, sie habe es auf den Namen »Albrecht« bestellt, verstummte jede einzelne Stimme in dem gesamten Laden, ein starres Schweigen erfüllte den Raum – und ihr Herz sank in den Boden.
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»Fort aus diesem
kranken Land!«
Corinna Ponto
Deine Eltern kamen gleich am nächsten Tag zu uns. Obgleich man sich emotional wie in einem ganz kleinen Raum fühlte, war die reale Situation weit offen. Familienmitglieder, die angereist waren, Polizeibeamte, Besucher, Freunde waren präsent, und ein sehr lebendiges Treiben bestimmte den Tagesrhythmus und die Lautstärke im Haus. Das eigene Tempo war verlangsamt und erschöpft, während parallel das offizielle Leben schnell, aktiv und von einer Entscheidung zur nächsten voranschritt. Wir waren froh, dass Deine Eltern da waren, es war uns ein Bedürfnis, sie zu sehen.
Deine Eltern und wir waren in diesem Moment noch eine Schicksalsgemeinschaft. Wir nahmen uns in die Arme. Es war eine große Güte im Raum. Lange saßen meine Mutter und Deine Eltern stumm auf unserer weißen Gartenbank. Es war dieselbe Bank, auf der ich Wochen vorher mit S. gesessen hatte. Dort hatte sie mich überaus geschickt und meine Plauderstimmung ausnutzend mit freundlicher Stimme lange »ausgefragt«.
Zum Abschied höre ich Deinen Vater heute noch, wie er mehrmals wiederholte: »Sie hatte doch so schöne Hände und sie spielte so schön Geige!« Viele Jahre später entdeckte ich diese Hände auf einem Foto aus der DDR – Zeit von S.und starrte sie lange an, als könnte ich dort Violinentöne finden – ich fand sie nicht.
Dass es eine Öffentlichkeit gab, die mit angespannter Neugier auf unsere Geschichte schaute, nahm ich erst wahr, als ich bei der Beerdigung die gierig ausgefahrenen Kameras hinter der alten Friedhofsmauer sah. In dem Moment, in dem man selbst seinen existenziellen Weg durch Gefühle und Lebensbilder suchte, wurde ein Bild von einem genommen. »To take a picture«, sagen die Engländer – ein Bild nehmen, auch wegnehmen, kann es bedeuten; »ein Foto schießen«, sagt man auf Deutsch. Vielleicht begannen schon in diesem Moment meine Sorge um falsche Bilder und meine Wut darüber zu keimen. Bis zu diesem Moment auf dem Friedhof hatte ich alles in einer vertraut privaten, glaskugelähnlichen Atmosphäre erlebt.
Neben der großen Verwandtschaft war Mitsuko Uchida direkt aus Tokio angereist, um eine Woche mit ihrer energievollen Stille, mit der Kraft einer Buddhafigur, oder traumhaft musizierend uns und mir schwesterlich zur Seite zu stehen. Da Mitsuko meinen Vater sehr gut gekannt hatte, war er gerade durch ihre Gegenwart sehr präsent. Auch der Cellist Mischa Maisky, den ich durch gemeinsame Treffen mit Mstislaw Rostropowitsch kannte, zeigte seine stille Anteilnahme und spielte mit Mitsuko ein unvergessliches Gedenkkonzert in einer kleinen Kapelle in Oberursel. Ebenso reiste Christoph Eschenbach zur Beerdigung an und wechselte sich bis spät in die Nacht mit Mitsuko am Klavier ab, oder sie versanken gemeinsam musizierend in Duostücken.
All diese Momente fassten noch einmal die musische und kulturelle Leichtigkeit der letzten Jahre zusammen – die durch die Luft flirrenden Klänge, die zu Hause bedeutet hatten. Diese jungen, im Aufbruch befindlichen Künstler fingen die vergangene Zeit noch einmal ein, dabei schwangjedoch gleichzeitig der unvermeidliche Abschied von diesem Lebensabschnitt mit.
Ein Lebensabschnitt, der neben dem üblichen Kinder- und Schulalltag für mich geprägt war von der stark musischen Ausrichtung des Elternhauses. Beide Eltern bezogen ihre Energien aus der Kunst, und diese war auch neben Geschichte ihr Hauptinteressengebiet. Meine Mutter hatte bei der bekannten Hamburger Klavierpädagogin Eliza Hansen studiert und war eine passionierte Klavierspielerin. Mein Vater war der
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