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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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literarisch Interessierte. Er sagte gerne lange Passagen von Schiller, Goethe, Thomas Mann auswendig auf und führte uns, wo immer wir auf Reisen waren, in Ausstellungen und Konzerte. Künstlerisch mäzenatische Aktivitäten waren ihm ein selbstverständliches Bedürfnis. Zusammen mit anderen gründete er in freundschaftlicher Verbundenheit zu Herbert von Karajan die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker.
    Nach zwei Silvesterkonzerten mit Karajan fuhren wir nicht in irgendeinen Berliner Ballsaal, sondern an die damals noch still im neblig-trüben Licht liegende, spärlich beleuchtete Mauer. Dort, wo heute das spektakuläre Feuerwerk stattfindet, hörte man damals einzelne Raketen aus dumpfer Ferne. Die Teilung Deutschlands war ein fast fanatisch empfundener Schmerz für meinen Vater.
    Politik und die dazugehörigen Wirtschaftsthemen spielten eine große Rolle im Freundes- und Familienkreis, aber immer in viel gedeuteten Bezügen zur Geschichte. Nach Jahrzehnten war er der erste Akademiker an der Spitze der Bank. Er war ein entschiedener Verfechter der sozialen Marktwirtschaft. Im Beileidstelegramm an meine Mutter schrieb der SPD – Vorsitzende und frühere Bundeskanzler Willy Brandt: »In den vielen Jahren seines verantwortungsvollen Wirkens wurde deutlich, dass die Marktwirtschaft für ihn immer eine soziale Dimension hatte. Sein kluger Rat und seine Menschlichkeit werden uns auch in der Politik sehr fehlen.«

    Wie Fachleute heute betonen, galt sein Engagement immer der wirtschaftlichen Vernunft, die die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs essenziell mit einschloss. »Man wird den Dingen sachlich näherkommen, wenn man in den Banken in erster Linie Treuhänder sieht, auch und gerade hinsichtlich des Beteiligungsbesitzes. Die Banken wiederum können nicht oft genug an diese Treuhänderfunktion erinnert werden«, war einer seiner Leitsätze. Er modernisierte die Bank und trieb mit der Eröffnung einer ganzen Reihe von Auslandsdependancen ihre Internationalisierung voran. Alles wurde immer in großen Bögen beurteilt. Bei jedem Gespräch schaute man immer in beide Richtungen – in die Vergangenheit und die Zukunft.
    Da die Familie meiner Mutter in die Geschichte des deutschen Widerstands gegen das NS – Regime eingebunden war, waren Kriegsvergangenheit, Flucht, Verlust, politische Haltung konstante Themen in der Familie. Die Hitlerzeit hatten meine Eltern in jungen Jahren erlebt. 1923 geboren, machte mein Vater 1942 ein sogenanntes Notabitur, um dann nach kurzer militärischer Ausbildung im Alter von 19 Jahren an die russische Front geschickt zu werden. Über seine Kriegszeit habe ich ihn nur ein einziges Mal sprechen gehört. Mitte der Siebzigerjahre nahm er mich mit auf eine Moskaureise. Dort trafen wir spätabends den Bildhauer Vadim Sidur. Mit ihm, dem ehemaligen Kriegsgegner, tauschte er in gegenseitigem wissendem Vertrauen bis tief in die Nacht Kriegserinnerungen aus. Wir saßen in Sidurs Atelier, dessen Wandregale bis an die Decke mit Bronzeskulpturen gefüllt waren, die weit aufgerissene Augen und Münder zeigten.
    Die politische Grundhaltung meiner Eltern würde ich als liberal-konservativ in dieser Reihenfolge charakterisieren, doch abgeklärt ging es bei Diskussionen zu Hause keineswegs zu, im Gegenteil. Es wurde mitunter heftig gerungen und gestritten. 68, die radikale Linke waren Themen, diemein Vater mit wachsamer Sorge betrachtete, das kann man auch in vielen seiner Vorträge aus der Zeit nachlesen – die Sorge vor einem falschen Zeitgeist war ein roter Faden in seinem Denken: »Erhalten wir uns ein feines Ohr für die falschen Töne. Generationen sind mit leeren Händen ausgegangen, weil sie dem Drang schöner Parolen und wohl auch schöner Gefühle erlagen. Bleiben wir also nüchtern und treten wir hier und überall dafür ein, den Verstand, die Vernunft wieder in ihren Rang einzusetzen, und lassen wir uns die Freiheit nicht ausreden, die all denen immer unbehaglich, unerträglich sein wird, denen Macht und Gewalt über die Freiheit anderer alles gilt. Das Wort vom Lebenskünstler kommt eigentlich nur in unserer Sprache vor – warum erfüllen wir es nur so zögernd mit Inhalt?«
    Über die von Willy Brandt und seiner sozialliberalen Regierung vorangetriebene Ostpolitik, die die Aussöhnung mit den früheren Kriegsgegnern Sowjetunion und Polen sowie eine vorsichtige Annäherung an die DDR zum Inhalt hatte, waren meine Eltern öfters konträrer Meinung. In seinen Jacketttaschen fand mein

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