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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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und viel Anstrengung für dieses Land.
    Da konnte sie nicht mehr.
    In einem kleinen Buch für Freunde beschrieb sie es so:
    Ich bin ein Stein in der Paulskirche. Die Feier gleicht einem Staatsbegräbnis, die Menschen sind wie ein Wall vor der Kirche – ich spüre nichts mehr.
    Erst nach dem Essen, das sich der Feier anschließt, breche ich zusammen. Jemand bringt aufgeregt die Nachricht: »Es brennt bei Ihnen zu Hause!«
    Ich höre mich zum ersten Mal in meinem Leben brüllen: »Diese Schweine! Diese Schweine! Diese Schweine!«
    Dann kann ich nicht mehr. Helfer tragen mich in ein Hotelzimmer – die Beruhigungsspritzen geben mir Schlaf.
    Als ich erwache, kenne ich nur noch einen Gedanken: Fort, fort, fort aus diesem kranken Land, aus diesem Wahnsinn!
    Aus Bonn will man mir eine Einheit des Bundesgrenzschutzes senden, die mich vor weiteren Übergriffen schützen soll. Mir wird klar: mit Leibwächtern leben, tagaus, tagein – das darf nicht mein Schicksal werden! Davor muss ich fliehen – meine Kinder und mich davor bewahren. Nicht unnötig sprechen müssen über das Unfassliche, in ein Land anderer Sprache zu gehen – das ist die einzige Lösung.
    Am nächsten Abend sind wir schon in London, mein Bruder, der Arzt ist, meine beiden Kinder und ich – auf dem Weg nach Amerika.
    Das dritte Mal auf der Flucht.
    Die Bomben, die Russen, die Terroristen.

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Das Schweigen
Julia Albrecht
    Vielleicht ein oder zwei Wochen nach dem 30. Juli 1977 sollte ich mit den Pfadfindern nach Holland fahren. Ich weiß noch, dass meine Mutter mich fragte, ob ich auch wirklich an der Fahrt teilnehmen wolle, und dass ich ihr nicht antworten konnte. Ich wusste nicht, was ich wollte. Meine Mutter brachte es nicht über sich, mit Gesine, der Pfadfinderleiterin, zu sprechen, das tat meine älteste Schwester für sie. Ich habe keine Ahnung, was sie mit ihr besprach; es ging wohl darum, ihr mich ans Herz zu legen, ihr zu sagen, dass sie mich schützen oder Verständnis für meine schwierige Situation aufbringen möge.
    Die Reise habe ich in ambivalenter Erinnerung. Einerseits als innig, insbesondere im Zusammensein mit einem anderen Mädchen, das die ganze Zeit sehr freundlich zu mir war. Andererseits als entfremdet und kalt. In Holland machte ich das erste Mal die Erfahrung, dass ich nicht wusste, wie noch sprechen, mit wem und worüber. Ich wusste ja noch nicht einmal, was genau mein Jammer war. Es war eine Mischung aus vielem. Das Erschrecken über den Mord. Die Trauer über die abwesende Schwester. Die tiefe Sorge, sie nicht mehr wiederzusehen. Die Scham darüber, was Susanne getan hatte.
    Ich wusste nicht, ob die anderen Kinder wussten, was geschehen war. Und ich verstand nicht, wieso keiner michdarauf ansprach. Ich wusste auch nicht, worüber ich sonst hätte reden können, sodass ich außer dem Nötigsten kaum mit den anderen sprach.
    Wir zelteten in schwarzen Jurten auf einem Campingplatz in einem sandigen Wald, und abends saßen wir ums Lagerfeuer, spielten Gitarre und sangen. Manchmal verließen wir den Wald und gingen in den nächstgelegenen Ort. An den Kiosken hing meine Schwester. Abgelichtet ihr Gesicht auf den Titelseiten der Zeitschriften, benannt die Tat in dicken schwarzen Lettern in den Überschriften der Zeitungen. Hier, in Holland, sah ich diese Publikationen das erste Mal. Mir scheint, als hätten mich meine Eltern bis zu diesem Moment davor geschützt. Damit nun in einer holländischen Kleinstadt konfrontiert zu werden, als Teil einer Gruppe von Mädchen, mit denen ich nicht eine Silbe über das Geschehene reden konnte, war schwierig für mich. Ich hatte den Impuls, hinzugehen und meine Schwester aus der Nähe zu betrachten. Vor allem aber hätte ich einfach gerne die Artikel gelesen, um womöglich mehr zu erfahren. Da aber niemand mit mir und ich mit niemandem über sie sprach, war es mir unmöglich, auch nur den Wunsch zu äußern, eine dieser Zeitschriften zu kaufen oder mich einem der Kioske zu nähern.
    Ganz am Ende der Ferien, bevor ich wieder in die Schule musste, rief ich meine Klassenkameradin und Freundin Clara an. Irgendwie wollte ich mir den Weg in die Schule erleichtern. Ich wollte vorbauen für diesen grauenhaften Gang zurück in die Gruppe der anderen Kinder, die ich am Ende des letzten Schuljahres als Julia verlassen hatte. Und in die ich nun als Schwester von Susanne zurückkehren musste.
    Clara begrüßte mich am Telefon fröhlich und fragte lustig: »Na, wie geht’s?« – und in mir verschwamm

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