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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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der Erde zu lindern?
    Sie sprach von »kaltblütiger Brutalität« der Gruppe und davon, dass die Stammheimer Gefangenen als »politisches Kalkül« gedient hätten. Sie sagte, sie habe den anderen gegenüber das Thema Ponto nicht ansprechen dürfen, weil ja »die Tötung nicht beabsichtigt war«.
    So entstand für mich ein durchaus widersprüchliches Bild von meiner Schwester und ihren Motiven. Es war schwer für mich, die verschiedenen Fäden zusammenzubringen. Einerseits das Lavieren, was ihre eigene Verantwortung anging, andererseits eine gewisse Schonungslosigkeit gegenüber den ehemaligen Genossinnen und Genossen.
    Der eigentliche Realitätsschub aber kam für mich im Zusammenhang mit dem Anklagepunkt des versuchten Mordes in drei Fällen beim Sprengstoffanschlag auf den Wagen des Nato-Oberbefehlshabers Alexander Haig und seiner beiden Begleiter.
    Ich hatte davon nichts gewusst. Meine Fantasie hatte nicht ausgereicht, mir auszumalen, dass sie nach der Tat vom 30. Juli 1977 auch noch an anderen Attentaten hätte beteiligt gewesen sein können. Tatsächlich aber hatte sie zwei Jahre nach dem Mord an Jürgen Ponto mindestens viermal den Dienstweg von Haig im belgischen Obourg ausspioniert, damit ihre Mittäter Sprengstoff unter dem Asphalt verstecken und ihn und seine Begleiter im Auto in die Luft jagen konnten. Susanne war nicht irgendwie und aus Versehen RAF , Susanne war RAF .
    Bis zu dem Prozess hatten wir angenommen, dass der Mord an Jürgen Ponto für sie selbst derart traumatisch gewesen war, dass sie sich an keinen weiteren Terroraktivitäten beteiligt hatte. Heute verstehe ich, dass aus ihrer Sicht die Angelegenheit natürlich viel komplizierter oder vielmehr ganz anders gewesen sein dürfte. Das »Weitermachen« nach der Ermordung von Jürgen Ponto war vielleicht sogar gerade deshalb wichtig, weil die Tat so absolut verwerflich war. Vielleicht musste meine Schwester sich gerade durch das Weitermachen beweisen, dass sie für »die Sache« eintrat. Vielleicht verlor in dieser Logik der Mord von Oberursel an Sinnlosigkeit – und Verwerflichkeit –, zeigte sie doch mit dem Ausspionieren von Haig, dass es ihr eben doch um die RAF – Ideologie ging. Aber das waren meine Überlegungen.
    Die Stimmung im Gerichtssaal war vom ersten bis zum letzten Tag höflich und freundlich. Nicht das Monster Susanne Albrecht, nach dem die Bundesanwaltschaft mehr als ein Jahrzehnt gesucht hatte, sondern eine reuige Exterroristin ließ sich umfassend ein. Es hatte etwas von einem Schauspiel. Der Vorsitzende Richter Dr. Breucker nannte sie während des gesamten Verfahrens »Frau Albrecht«, obwohl sie doch in der DDR nach ihrer Heirat den Namen ihres Mannes angenommen hatte. Doch manchmal versprach er sich. Dann nannte er sie »Frau Ponto«, geriet ins Stocken, sagte dann: »Äh, Entschuldigung, Frau, äh, Albrecht.« Das waren Momente, in denen man spürte, dass auch den Vorsitzenden des Gerichts diese Geschichte von Verrat und Verstrickung etwas anging und er die Täterin vor Augen, aber auch das Opfer im Kopf hatte.
    Mich berührte das umso mehr, als ich Hunderte von Malen von Fremden und Bekannten »Susanne« genannt wordenbin. Immer wieder. Und so unangenehm es mir war, so war es doch gleichzeitig auch immer wieder wie ein kurzer Blick hinter die Stirn des Gegenübers, dem während all der Jahre diese Geschichte nicht aus dem Kopf gegangen ist. Es passiert übrigens auch heute noch gelegentlich. Dann aber nur, wenn dieses Thema gerade im Mittelpunkt steht.
    Dramatik gewann das Verfahren noch einmal zum Ende hin, als es um die rechtliche Würdigung der Taten und die Frage ging, ob ihr Aussageverhalten die Anwendung der Kronzeugenregelung ermöglichte, und damit also um die Höhe der Strafe: lebenslänglich oder zeitlich befristet. Von der rechtlichen Einordnung her bestand – zumindest für mich – nie ein Zweifel, dass sie wegen Mittäterschaft an einem Mord verurteilt werden würde. Bei mittäterschaftlichem Mord allerdings, da ist das deutsche Strafrecht unflexibel, gibt es keinen Spielraum. Da ist die Strafe lebenslänglich. Einzig die zwei Jahre vor Prozessbeginn in das deutsche Recht eingeführte Kronzeugenregelung konnte sie davor bewahren.
    Meine Schwester musste also alles dazu tun, sich als Kronzeugin zu profilieren. Das war nicht so einfach, weil sie einerseits ein löchriges Gedächtnis hatte und andererseits über die aktuellen Strukturen und Pläne der RAF nichts aussagen konnte. Die Möglichkeit, dass sie

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