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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Kronzeugenregelung für sie Anwendung finden könnte, hatte sie eine Chance, nicht lebenslänglich hinter Gitter zu kommen. Auch vor diesem Hintergrund war ihr Aussageverhalten zu verstehen – und das wussten natürlich alle Prozessbeteiligten. In gewissem Sinne war ich vielleicht die Einzige, die daran glaubte und darauf hoffte, dass hier nun endlich die Wahrheit ans Licht kommen würde.
    Verwirrend war für mich auch, dass das Gericht der Fragenicht weiter nachging, worauf meine Schwester denn ihre Annahme stützte, dass ihre Tatbeteiligung Jürgen Ponto schützen würde. Dass es der Frage nicht nachging, wie ihrer Vorstellung nach die Entführung des Familienfreundes hätte ablaufen sollen. Zumal sie selbst aussagte, dass sie sich nicht hatte vorstellen können, wie eine Entführung Jürgen Pontos aus seinem Privathaus hätte gelingen können. Aber selbst wenn eine Entführung geglückt wäre, was wäre dann geschehen? Wie hätte ihre Rolle dann ausgesehen?
    In den Prozesspausen in dem betonverschalten Vorraum des Verhandlungssaals ließen wir Besucher auch unseren Fantasien freien Lauf. Ich erinnere mich daran, wie wir uns fragten, welche Rolle meine Schwester denn bei einer geglückten Entführung hätte übernehmen sollen. Hätte sie sich zu dem entführten Jürgen Ponto setzen und ihm erzählen wollen, dass er ein Kapitalistenschwein sei und es verdiene, eingesperrt zu werden? Wollte sie ihm sagen, dass er die Todesdrohung ernst nehmen sollte für den Fall, dass die »Inhaftierten« nicht freigelassen werden würden? Man mag sich das nicht weiter ausmalen. Für mich blieben viel zu viele Fragen unbeantwortet.
    Dabei hätte man meine Schwester beim Wort nehmen können. Denn sie selbst forderte »schonungslose Aufklärung« – und lieferte diese auch in Bezug auf die innere Struktur der » RAF «. Am 16. Mai 1991 war sie aufgestanden, nachdem die RAF – Zeugen und Todesschützen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar die Aussage verweigert und gegen das Gericht und gegen meine Schwester gewettert hatten, und hatte eine Erklärung verlesen. Sie tat dies, obwohl der Verhandlungssaal an diesem Tag gefüllt war mit RAF – Sympathisanten, die gekommen waren, um Mohnhaupt und Klar zu unterstützen, die skandiert hatten, als die beiden dem Gericht und meiner Schwester Vorwürfe insbesondere wegen der infrage stehenden Anwendung der Kronzeugenregelung gemacht hatten, und die lautstark protestiert hatten, als Ordnungsstrafen gegen Mohnhaupt und Klar verhängt worden waren.
    Es herrschte eine angespannte und feindliche Stimmung, als meine Schwester erklärte:
    Man kann das, was die » RAF « macht, auch nicht verändern oder verbessern, sondern die einzig richtige Konsequenz wäre, aufzuhören nach nunmehr zwanzigjähriger Terrorismusgeschichte in der Bundesrepublik. Der Mut und die Ehrlichkeit derjenigen, die heute noch » RAF « sind, einzugestehen, dass durch sie die Probleme der Gesellschaft und der globalen Politik kein bisschen entschärft wurden, sondern diese Hinrichtungspolitik immer nur das Gegenteil bewirkte, wären jetzt angesagt. Denn die Kräfte der Vernunft sind schon immer andere gewesen als Gewehrsalven und Kopfschüsse.
    Sie erklärte, sie wolle den »Mythos RAF weiter erschüttern«. Und sie versuchte, ein wenig Licht ins Dunkel der RAF – Strukturen zu bringen. Die RAF sei »stalinistisch« organisiert gewesen. Die Oberen hätten das Sagen gehabt, die anderen wären vor die Tür geschickt und diffamiert worden, hätten weder telefonieren noch sich an Entscheidungen beteiligen dürfen. Es sei auch geschlagen worden.
    Ich möchte das Wesen dieser Struktur sowie der »Politik der RAF « insgesamt mit dem Wesen Stalinismus gleichsetzen. Ausdruck davon ist unter anderem die Arroganz zu meinen, stets das Richtige zu wollen und zu tun, und sich damit selbstherrlich über Realität, Anstand, menschliche Gefühle und Bedürfnisse hinwegzusetzen. Diese Selbstherrlichkeit äußert sich schließlich darin, dass unliebsame Institutionen und Personen angegriffen bzw. er mordet werden. Dort, wo Dialog und Auseinandersetzung angesagt sind und wo es bereits Initiativen, Gruppen oder Bewegungen gibt, um bestimmte gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen und zu ändern, schlägt die » RAF « zu, um sich an die Spitze einer solchen Bewegung zu stellen, so als ob sie bzw. der Anschlag die Lösung der Probleme voranbringt. Aber wo hat ein Attentat jemals dazu beigetragen, irgendein Leid in dieser Gesellschaft oder auf

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