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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Böses« seinen Teil beitrug. Einen größeren Gegensatz zu den politischen Verteidigungsstrategien der Siebzigerjahre hätte man sich nicht ausdenken können.
    Nur am Rande spielte in diesem Verfahren die gesellschaftspolitische Dimension der » RAF « eine Rolle: die brutale Ideologisierung der Sympathisanten durch die »Gefangenen«, die Bedeutung des Vietnamkriegs für die heranwachsende Nachkriegsgeneration, die Zweifel an der Legitimation der staatlichen Gewalt und ihrer Institutionen und das tiefe Misstrauen der Jüngeren gegenüber der Elterngeneration, die ihre Energie weniger in die Aufarbeitung der ungesühnten Verbrechen des Nationalsozialismus und mehr in den Wiederaufbau und das »Wirtschaftswunder« gesteckt hatte. So ziemlich alles, was neben der Persönlichkeit meiner Schwester ihren Weg und ihr Handeln hätte erklären können, kam im Prozess nur am Rande vor.
    Susanne sprach schon am ersten Prozesstag viel, sie erzählte von ihrer Kindheit und Jugend, vom Großwerden als privilegiertes Kind in einem wohlhabenden Elternhaus mit einem Vater, der viel arbeitete, und Eltern, die nicht frei von Auseinandersetzungen lebten. Sie erzählte von ihrer Stellung als zweitältestes Kind in der Familie. Sie berichtete von ihrem Schulversagen, vom Gefühl des Außenseitertums, vom Internat, von der inneren Zäsur, als der Freund sich das Leben nahm und sie dafür – stellvertretend – ihren Vater verantwortlich machte und einen ersten jähen Bruch mit der Familie herbeiführte. Von jetzt auf gleich zog sie von zu Hause aus und kam seit diesem Zeitpunkt nur noch gelegentlich zu Besuch. Und sie erzählte von dem Eintauchen in die Politik der Nach-68er aus dem Gefühl der Solidarität für die gesellschaftlich Benachteiligten, der Scham, selbst privilegiert groß geworden zu sein, und einer tiefen Ablehnung der Welt des Geldes und des Konsums. Sie berichtete von dem Misstrauen gegenüber der Welt der Erwachsenen und dass sie ›so nicht werden wollte‹.
    Sie zeichnete von sich das Bild einer Getriebenen und nicht einer, die trieb, einer, die nicht originär aktiv, aber durch ihr Umfeld dann doch radikalisiert wurde.
    Bereits am zweiten Prozesstag sprach Susanne über die Tat. Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit Volker Speitel, demgegenüber sie ihre Bekanntschaft mit den Pontos erwähnt habe, nachdem sie das erste Mal bei ihnen übernachtet hatte.
    Man warf mir vor, dass diese Übernachtung Teil des Tatplans war, aber das ist nicht richtig. Danach allerdings [gab es] ein Treffen mit Volker Speitel, wobei ich nicht wusste, dass er Kurier zwischen Gefangenen und Aktiven war. Gespräch in Stuttgart über Pontos. (…) Das war der Anfang vom Ende. Das meine ich so, dass ich später, als ich mich mit Illegalen traf [Stefan Wisniewski, Sieglinde Hofmann] , damit konfrontiert wurde. Ich wurde über seine berufliche und gesellschaftliche Stellung befragt. Wobei mir auffiel, dass meine Gesprächspartner bereits über Ponto informiert waren. (…) Das nächste Mal wurde ich informiert, dass Ponto ein geeignetes Entführungsopfer für die Freipressung von Gefangenen sei. Ich wusste hier schon, dass ich tief drinhänge, dass ich für das, was auch immer passieren würde, verantwortlich war, denn ohne das Speitel-Gespräch wäre man nicht auf Ponto gekommen. (…) Man sagte mir, dass die Gruppe entschlossen sei, Ponto als Geisel zu nehmen, dass man mich für den Zutritt brauche, was die Garantie dafür sei, dass die Entführung problemlos abliefe.
    Diese Erklärung leuchtete mir schon damals nicht ein. Ich glaubte nicht an den schlechten Zufall: dass sie dem falschen Mann zur falschen Zeit die falsche Information gegeben hatte. Ich glaubte ihr nicht, dass sie nicht gewusst hatte, wer Speitel war. Meines Wissens musste sie ihn und sein politisches Umfeld ganz gut gekannt haben. Beide arbeiteten zeitweilig für den Anwalt Klaus Croissant – das hatte sie so auch im Prozess gesagt. Und wieso sollte sie ihm überhaupt von Ponto erzählt haben?
    Dennoch, die Geschichte hinter der Geschichte, die Susannedamals im Prozess erzählte, der Subtext, wie ich ihn verstand, war vielleicht richtig. Denn ich glaubte ihr, dass sie das Attentat irgendwie wollte – weil sie hinter dem Ziel stand, die Gefangenen zu befreien – und irgendwie nicht wollte. Ich meinte zu hören: Endlich hatte ich mal etwas anzubieten. Endlich war ich mal wer. Und ich meinte zu hören, wie sie gleichzeitig sagte: Das war alles nicht meins. Das waren die

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