Patrimonium
Proteinstrang hier, ein Fragment Nukleinsäure dort.« Seine Stimme klang nun kühler, während er in angenehmen Erinnerungen zu schwelgen schien. »Wir haben ausgewählt, geschnitten und gespreizt. Das war das schwierigste genverändernde Experiment, das je stattgefunden hat, und es ist ein Wunderwerk. Du wurdest zusammengesetzt, 12-A. Wie all die anderen. Einige haben funktioniert – andere nicht.« Jetzt kehrte er wieder ganz in die Gegenwart zurück. »Du wurdest nicht geboren , Philip Lynx. Du wurdest gemacht .«
Irgendwie gelang es Flinx, eine Antwort herauszuwürgen, anstatt daran zu ersticken. »Zu welchem Zweck? Warum?«
Anayabi machte eine bedeutungsvolle Geste mit der freien Hand. »Ist das nicht offensichtlich? Du selbst hast den Begriff ›verbessern‹ verwendet. Die Menschheit hat einen langen Weg hinter sich, seit unsere Urahnen zum ersten Mal erkannt haben, dass es effektiver ist, den Feind mit einem Stein zu bewerfen, anstatt sich dahinter zu verstecken. Die Zeit ist verstrichen, die Zivilisation – gewissermaßen – gewachsen. Tausende von Jahren zogen dahin. Vor mehreren hundert Jahren waren wir endlich in der Lage, das Säuglingsheim und somit Mutter Erde zu verlassen. Seitdem haben wir viele Dinge erreicht, einige große und einige weniger bewundernswerte. Wir haben zusammen mit den Thranx das Commonwealth geschaffen. Und doch bekämpfen wir uns noch immer viel zu oft selbst, streiten miteinander, handeln irrational und leugnen unser wahres Potenzial.«
Jetzt war Anayabi nicht mehr der einsiedlerische Pensionär, sondern mit jeder Faser seines Körpers ein wahrer Gläubiger, erkannte Flinx. Das Gesicht und die Stimme des freundlichen Eremiten hatten denen eines eifrigen Fanatikers Platz gemacht.
»Die Menschheit war schon immer ungeduldig«, fuhr der ältere Mann, jetzt zu polemischer Höchstform aufgelaufen, fort. »Jene von uns, die als Meliorare tätig waren, waren eben nur etwas ungeduldiger als der Rest. Wir waren es leid, darauf zu warten, dass unsere Spezies ihr gesamtes Potenzial ausschöpft, daher entschlossen wir uns, unser Bestes zu geben, um diesen Zustand herbeizuführen. Wir widmeten uns aber nicht nur dem Ziel, die nächste Stufe auf der Leiter der Evolution zu erreichen, wir wollten vielmehr so viele Stufen wie möglich überspringen. Wir strebten danach, den Menschen dank der Gentechnik auf ein neues Level zu bringen.«
»Ohne die Zustimmung der Betroffenen.« Flinx’ Stimme klang gepresst.
Unbeeindruckt zuckte Anayabi mit den Achseln. »Es ist nicht leicht, sich mit einem Embryo zu einigen. Ja, es hat entlang des Weges einige Fehlschläge gegeben. Aber das ist in der Wissenschaft immer so. Mit jeder Linie strebten wir danach, eine neue Fähigkeit und eine neue Dimension des menschlichen Bewusstseins zu erreichen.«
»Ich habe mir die Geschichte der Society angesehen. Einige ihrer ›Fehlschläge‹ sind einen vorzeitigen Tod gestorben. Andere kamen auf furchtbare Weise um. Wieder andere hatten hingegen nicht ganz so viel Glück.«
»Das war nicht beabsichtigt«, versicherte ihm Anayabi. »Macht man einige Schritte nach vorn, muss man unausweichlich auch mal zurückgehen. Wir taten, was wir konnten, um das Leiden der Linien, die sich nicht wie geplant entwickelt hatten, zu minimieren.«
»Ihre Güte kannte wahrlich keine Grenzen«, erwiderte Flinx angesäuert.
Das Gesicht des anderen Mannes verfinsterte sich. »Große Fortschritte in der praktischen Wissenschaft können, anders als in der theoretischen, nur selten ohne Opfer gemacht werden.«
»Ein ehrbarer Lehrsatz aus dem Munde jener, die diese Opfer niemals bringen mussten.« Über alle Maßen entmutigt, desillusioniert und deprimiert hatte Flinx langsam genug von diesem selbstgefälligen Überlebenden. »Aber wenigstens hatte ich eine Mutter.«
Anayabi sah den jungen Mann mitleidig an. »12-A, 12-A – du hörst die Worte, aber du scheinst sie nicht zu begreifen. Wenn du nicht scharfsinniger bist, dann muss ich dich trotz deines angeblichen Talents leider doch zu der langen Reihe gescheiterter Experimente zählen. Ich habe dir gesagt, dass du geschaffen wurdest. Du bist von Kopf bis Fuß ein Erzeugnis. Die Ex-Kurtisane Anasage aus der Lynx-Kaste, die du ständig deine ›Mutter‹ nennst, war nur eine von vielen, die angeheuert wurden, um das fertige Produkt auszutragen. Biologische Austrägerinnen sind einfach viel verlässlicher als synthetische Gebärmütter. Und natürlich auch viel preiswerter.« Erneut
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