Patterson James
gewesen
war. Wie ich ihr das Leben gerettet hätte, als niemand sonst
dazu imstande gewesen wäre. Das war eine Tatsache, die
niemand abstreiten konnte, nicht einmal Catherine Fitzgibbons.
Jedenfalls hoffte ich das.
Und betete.
Wenige Minuten später kam die Fitzgibbons zum Zeugenstand
und lächelte mich so zuckersüß an, als wäre sie meine liebste
Schwester Carole Anne. Doch sie verschwendete nicht viel Zeit
mit Höflichkeiten.
»Dr. O’Neill, wie viel verdienen Sie im Jahr?«, fragte sie in
ihrem gewohnt gereizten Tonfall.
»Das kann ich nicht so genau sagen. Es ist von Jahr zu Jahr
unterschiedlich. Kommt ganz darauf an, ob ich in einem Jahr
mehr wilde Eichhörnchen oder Pferde behandle.«
»Im Durchschnitt, mehr oder weniger als
fünfunddreißigtausend Dollar?«
»Weniger«, sagte ich entschiedener, als ich gewollt hatte.
»Und Sie wollen allen Ernstes damit sechs Kinder aufziehen
…?«
»Ich mache das ja nicht alleine! Diese Kinder brauchen Liebe
dringender als Geld. Sie sind ja jetzt schon ganz deprimiert!«
Catherine Fitzgibbons hob die Augenbrauen. »Sie sagen, die
Kinder wären deprimiert – woher wissen Sie das? Sie sind doch
keine Psychologin, oder?«
»Nein, aber …«
Sie schnitt mir das Wort ab. »Sie sind überhaupt kein Humanmediziner, Dr. O’Neill, habe ich Recht?«
»Nein. Aber diese Kinder sind …«, wollte ich erwidern, doch
sie unterbrach mich erneut. Ich fühlte mich versucht, einfach
weiterzureden, doch ich hielt inne und schwieg. Mein Fehler.
»Sie waren nie Mutter, nicht wahr, Dr. O’Neill? Bitte
beantworten Sie meine Frage mit Ja oder Nein.«
»Nein, aber … Nein.«
Ich wollte mich auf sie stürzen, ich wollte mich wirklich mit
den Fäusten auf sie stürzen. Sie hatte es verdient.
»Sie wohnen mit einem Mann zusammen, mit dem Sie nicht
verheiratet sind, ist das zutreffend?«
»Ich würde nicht sagen, dass wir zusammenwohnen.«
Ich wollte sie erwürgen und hinterher auf der Leiche
herumtrampeln. Ich konnte mich kaum noch beherrschen, so
wütend war ich.
»Gut, ich verbessere mich. Sie haben Sex mit einem Mann,
mit dem Sie nicht verheiratet sind?«
Jeffrey Kussof erhob sofort Einspruch gegen diese Frage, und
der Richter gab ihm statt.
»Ist das Ihre Vorstellung davon, minderjährigen Kindern ein
Vorbild zu sein?« Catherine Fitzgibbons Angriff war noch nicht
zu Ende.
Jeffrey sprang erneut auf. »Einspruch, Euer Ehren! Sie
verlangt Schlussfolgerungen von einer Zeugin!«
»Stattgegeben.«
»Dr. O’Neill, wenn Sie die Vormundschaft über diese sechs
Kinder hätten, wie würden Sie die Erziehung mit Ihrer Arbeit
vereinen? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?
Würden Sie die Kinder jeden Tag zu ihren verschiedenen
Schulen fahren? Oder würden Sie einfach die Tür öffnen und sie fliegen lassen?«
»Einspruch, Euer Ehren! Die Anwältin setzt der Zeugin in
unzulässiger Weise zu!«, protestierte unser Anwalt.
Doch Catherine Fitzgibbons bedachte ihn nur mit einem
knappen, abfälligen Blick und einer wegwerfenden
Handbewegung. »Ich habe keine weiteren Fragen an diese
Zeugin.«
Stolz watschelte sie zu ihrem Platz zurück.
Am Abend machte Richter Dwyer uns ein ganz besonderes
Geschenk, und ich hoffte, dass es nicht aus einer Mischung aus
Mitleid und Schuldgefühlen entsprang. Er entschied, dass die
Kinder einen Teil des Abends mit Kit und mir verbringen
durften. Er warf uns einen Knochen hin.
Was für ein unvergessliches Ereignis!
Die Kinder wurden von einer Eskorte aus U.S. Marshals zu
unserem Hotel gebracht, dem altehrwürdigen Brown Palace, und
der erste Punkt auf der Tagesordnung bestand darin, ein Lokal
zum Essen zu finden. Wir waren alle kurz vor dem Verhungern.
Zur Wahl standen der Zimmerservice, die Ship Tavern unten im
Hotel oder das Little Italy in der Sixteenth Street Mall. Das
Little Italy gewann erdrutschartig, sechs gegen zwei Stimmen.
Wir nahmen an, dass es dort Gemüsepizza gab, das
Lieblingsessen der Kinder auf diesem Planeten. Was will man
da noch sagen.
Gegen halb neun trafen wir im Restaurant ein, und die
üblichen Regeln traten in Kraft: keine Blickwettkämpfe mit
anderen Leuten, keine Auseinandersetzungen um das Essen,
ganz besonders nicht angesichts der gegenwärtigen Umstände,
kein Herumfliegen im Lokal und keine abfälligen Witze über
Uncle Frank oder Little Joey, deren Bilder ringsum an den
Wänden hingen.
Es war wie ein Traum, an jenem Abend mit den Kindern
zusammen zu sein. Teilweise, weil sie sich
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