Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
Kontrollstelle der Mission. Er konnte genauso groß und bedeutend wie Jack und Jill sein. Ach was, verdammt, er konnte größer und besser sein als diese elenden Arschlöcher. Er wusste, dass er es konnte. Er konnte Jack und Jill in den Hintern treten.
Er tastete auf dem Boden nach seinem altvertrauten Rucksack. Wo zum Teufel waren seine Sachen?... Ah, ja. Da ist er. Alles cool. Er wühlte im Rucksack. Da war die Taschenlampe. Er knipste sie an.
»Es werde Licht«, flüsterte er. »Aaah.«
Pech, Sportskameraden, er war tatsächlich auf dem Boden seines Hauses. Es war kein Traum. Er war doch der TruthSchulmörder. Er richtete den grellen Lichtstrahl der Lampe auf seine Armbanduhr. Sie war ein Geschenk zu seinem zwölften Geburtstag gewesen. Eine Uhr mit allen Schikanen, wie Piloten sie trugen. Mann! Ein tolles Ding. Vielleicht konnte er doch noch Kampfpilot werden, wenn das alles erst hinter ihm lag. Lernen, eine F-16 zu fliegen.
Auf der Pilotenuhr war es vier Uhr morgens. Dann muss es vier Uhr sein.
»Die Stunde des Werwolfs«, flüsterte er leise. Zeit, vom Boden hinunterzusteigen. Zeit, der Welt weiterhin seine Markierung aufzudrücken. Jetzt musste etwas Cooles, etwas Supergeiles passieren.
Perfekte Morde.
Musste, musste, musste.
75.
Vorsichtig ließ er die sperrige Klapptreppe langsam in den ersten Stock des Hauses hinunter. Sein Haus. Falls seine Pflegeeltern ausgerechnet jetzt aufstanden, um zu pinkeln – GROSSE PROBLEME FÜR IHN.
ABER FÜR SIE – GROSSE ÜBERRASCHUNG! EIN SCHEISSORKAN FÜR ALLE BETEILIGTEN.
Er hatte ein bisschen Mühe zu atmen. Was er jetzt tun musste, war nicht einfach. Er musste die schwere starre Treppe leise im ersten Stock aufsetzen. Doch ganz zum Schluss ertönte ein leises Peng .
»Verflucht, du Verlierer «, flüsterte er.
Immer noch fiel ihm das Atmen schwer. Sein Körper war von einer dicken, fettigen Schweißschicht bedeckt, wie bei Pferden, die morgens hart trainiert wurden. Er hatte es auf der Farm seiner Großeltern gesehen. Vergiss das nie: Schweiß, der sich beinahe in Schlagsahne verwandelte, direkt vor seinen Augen.
»Angsthase«, flüsterte er und machte sich über seine Feigheit lustig. »Scheißfeigling. Arschloch des Monats. Verlierer. Blödmann.«
Krampfhaft wartete er, bis seine Panik allmächlich verebbte. Er atmete lang und tief durch, während er oben auf der Klapptreppe wartete. Das alles war so irre . Es war das totale Chaos – im wirklichen Leben, in wirklicher Zeit.
Schließlich kletterte er die wacklige Holztreppe hinunter, mit wackligen Knien, als wären seine Beine Stelzen . Er war so vorsichtig und leise wie möglich.
Unten angekommen, fühlte er sich etwas besser. Terra Firma. Fester Boden.
Auf Zehenspitzen schlich er über den Flur zum Elternschlafzimmer. Er machte die Tür auf. Unvermittelt schlug ihm ein eiskalter Luftzug entgegen.
Sein Pflegevater ließ sogar im Dezember das Fenster offen, wenn der Scheißschnee fiel. So war der Alte nun mal. Wahrscheinlich sorgte die arktische Kälte dafür, dass sein silberblondes Haar kurz blieb. So sparte er sich das Haareschneiden. Was für ein Superwichser der Typ doch war!
»Pickst du sie auch in der Kälte? Im Dunkeln?«, flüsterte er fast unhörbar. Irgendwie klang das zutreffend.
Er trat ganz dicht an das große Bett heran. Ganz dicht. Er stand an ihrem Altar der Liebe, ihrem heiligen Thron.
Wie oft hatte er sich einen Moment wie diesen vorgestellt! Genau diesen Moment.
Wie viele Kinder hatten sich die gleiche Szene tausendmal vorgestellt? Und dann nichts unternommen. Verlierer! Die Welt war voll davon.
Er stand kurz vor einem seiner schlimmsten Wutanfälle, einem wirklich schlimmen . Seine Nackenhaare standen aufrecht und salutierten. AAACHT-TUNG! So fühlte es sich jedenfalls an.
Überall im Schlafzimmer sah er Rot . Eine Art roter Nebel. Es war beinahe so, als würde er den Raum durch ein Nachtsichtgerät betrachten.
Er... würde ... gleich ... platzen, ... nicht wahr?
Er fühlte, wie er... in eine Milliarde Stücke ... explodierte.
Unvermittelt brüllte er los, so laut er konnte. »Wacht auf und riecht den beschissenen Folger’s Kaffee!«
Jetzt schluchzte er. Aus welchem Grund, war ihm schleierhaft. Er konnte sich nicht erinnern, so geheult zu haben, seit er ein kleines Kind gewesen war, ein sehr kleines Kind .
Die Brust tat ihm weh, als hätte man ihm einen harten Fausthieb versetzt. Oder ihn mit einem kurzen Baseballschläger bearbeitet. Plötzlich merkte er, dass er wimmerte.
Winselte .
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