Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
wollten?«, fragte ich ihn nach mehreren Sekunden des Schweigens.
»Vorerst, ja. Sie haben den Stein ins Rollen gebracht. Das ist doch schon was. Es ist wirklich eine wichtige Sache.«
»Ja, es ist eine wichtige Sache«, wiederholte ich. »Es handelt sich um eine beschissene Ermittlung im Weißen Haus wegen Mordes!« Ich stand auf und ging zurück in mein Büro. Ich hatte Arbeit. Ich musste mich wieder daran erinnern, dass ich zum »Team« gehörte.
Gegen halb zwölf steckte Hamerman den Kopf durch die Bürotür. Seine Augen waren noch größer und blickten noch intensiver und wacher als sonst. Ich hatte den Eindruck, dass er seine Meinung bezüglich der neuesten Ermittlungen geändert hatte.
Oder dass er den Kopf verloren hatte.
Er war nämlich völlig außer sich.
»Der Präsident möchte Sie sofort sprechen.«
73.
Präsident Byrnes begrüßte jedes Mitglied des Krisenstabes persönlich, als wir das Oval Office betraten – das tatsächlich oval ist. »Danke, dass Sie gekommen sind. Hallo, Jay, Ann, Jeanne, Alex. Ich weiß, wie viel Sie alle zu tun haben und unter welch gewaltigem Druck Sie arbeiten müssen«, sagte er, als wir uns setzten.
Der Krisenstab hatte sich versammelt, doch Präsident Byrnes beherrschte eindeutig die Szenerie und die unplanmäßige Besprechung. Er trug einen eleganten dunkelblauen Anzug. Sein sandfarbenes Haar war frisch geschnitten. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es heute Morgen geschnitten worden war und woher er dann die Zeit nahm.
Was war passiert? Hatten Jack und Jill wieder Kontakt mit dem Weißen Haus aufgenommen?
Ich blickte zu Jeanne Sterling hinüber. Sie zuckte die Schultern und machte große Augen. Sie wusste auch nicht, um was es ging. Niemand schien zu wissen, was den Präsidenten bewegte, nicht einmal Hamerman.
Nachdem wir Platz genommen hatten, ergriff Präsident Byrnes das Wort. Er stand direkt vor zwei Flaggen, der Army und der Air Force. Er schien seine Gefühle unter Kontrolle zu haben, was bestimmt nicht leicht war.
»Harry Truman pflegte zu sagen«, begann er. »›Wenn du in Washington einen Freund haben willst, musst du dir einen Hund kaufen.‹ Ich glaube, ich hatte genau das gleiche Gefühl, das Truman zu seiner scherzhaften Bemerkung inspirierte. Ich bin mir fast sicher.«
Der Präsident verstand, seine Zuhörer in Bann zu schlagen. Das wusste ich bereits von seiner Rede auf der Wahlversammlung und von anderen Fernsehansprachen – seinen Versionen von Roosevelts Kaminplaudereien. Er war dazu fähig, mit seinen rhetorischen Fähigkeiten auch ein viel kleineres Publikum in einem viel kleineren Raum mitzureißen, selbst einen so hartgesottenen und zynischen Haufen wie den, den er jetzt vor sich hatte. »Was für ein elendes Geschwür am Hintern dieser Job doch sein kann. Wer auch immer die Redensart erfunden hat: ›Wenn ich eingezogen werde, werde ich nicht weglaufen, und wenn ich gewählt werde, werde ich nicht dienen‹, hatte die richtige Idee. Das können Sie mir glauben.«
Der Präsident lächelte. Er besaß die Fähigkeit, alles, was er sagte, persönlich klingen zu lassen. Ich fragte mich, ob er das mit Absicht tat. Wie viel von alledem war eine erstklassige schauspielerische Leistung?
Die durchdringend blauen Augen des Präsidenten schweiften durch den Raum und blieben einen Moment lang auf jedem Gesicht haften. Er schien uns zu beurteilen und dabei – was noch wichtiger war – zu jedem Einzelnen von uns zu sprechen. »Ich habe sehr viel über die derzeitige unglückselige Situation nachgedacht. Und Sally und ich haben darüber gesprochen, spätabends und mehrere Abende hintereinander. Tatsache ist, dass ich zu viel über Jack und Jill nachgedacht habe. Während der letzten Tage hat dieser widerliche Drei-Manegen-Zirkus im Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gestanden und hat erhebliche Störungen bei den Regierungsgeschäften verursacht. Diese unselige Angelegenheit hat Kabinettssitzungen unterbrochen und ungezählte Terminpläne über den Haufen geworfen. So kann es unmöglich weitergehen. Es ist schlecht für unser Land, für unsere Bürger und für die geistige Gesundheit aller – Sallys und meine eingeschlossen. Die derzeitige Situation lässt uns in den Augen der Welt schwach und instabil dastehen, zumindest innenpolitisch. Es kann nicht angehen, dass die Drohung zweier Irrer die Regierungsgeschäfte der Vereinigten Staaten aus dem Ruder laufen lässt. Das dürfen wir nicht zulassen. Als Konsequenz habe ich eine harte Entscheidung
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