Patterson James
der Einfahrt fuhren. Ich versuchte, unbefangen zu klingen.
»Und zwar von unseren Kindern, anstatt von unseren Eltern«, fügte Sarah hinzu. Auch sie versuchte, locker zu sein.
Winnetka verfügt über ein erstaunlich gutes französisches
Restaurant, »La Provence«, ein eleganter Raum im obersten
Stockwerk des höchsten Bürogebäudes der Stadt, und dort
wollten Sarah und ich, die wir inzwischen unserem vierten
gemeinsamen Jahrzehnt entgegentaumelten, das neue Jahr
einläuten. Auf dem Programm stand an diesem Abend ein
junger Oldies-Sänger aus New Orleans begleitet von einem
Sextett, und natürlich Tanz. Die Nacht war so kalt und klar,
dass wir von unserem Tisch in der Ecke aus die Lichter auf der
kanadischen Seite des Lake Michigan sehen konnten.
Ich hatte mir vorgenommen, unser Zusammensein dahingehend zu nutzen, Sarah von der Qualifying-School – der
Q-School, wie die Qualifikation für die Senior Tour genannt
wurde – zu erzählen und dass ich hoffte, an der Tour teilnehmen zu können. Stattdessen war ich jedoch schon ausreichend
damit beschäftigt, das peinliche Schweigen zwischen uns zu
überbrücken. Zweifelsohne hatte ich ihr schrecklich wichtige
Dinge mitzuteilen. Doch als ich sie nun mir gegenüber sitzen
sah, so hinreißend und dabei so fern, erschien mir dieses Gespräch auf einmal beinahe belanglos.
So, wie ich meine Probleme mit Sarah beschreibe, muss ich
fast befürchten, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen,
dass Sie womöglich glauben, ich wäre irgendwie abgestumpft,
hätte mich daran gewöhnt, aber das entspricht überhaupt nicht
meinen Empfindungen. Es war eher so, als ob mir ständig das
Herz gebrochen würde, immer wieder auf eine etwas andere
Weise, jeden Tag seit zwei Jahren. Oder vielleicht sogar schon
länger.
Ein Teil des Problems ist – und das gebe ich nur ungern zu –,
dass ich mich mehr und mehr wie »Dr. McKinleys Gatte« fühle.
Seit ich Sarah kenne, bin ich stolz auf ihre zupackende, kompetente Art, ehrlich. Und sie selbst ging ja auch nicht davon
aus, einen zukünftigen Industrieboss zu heiraten. Dennoch
kann man nicht leugnen, dass unsere Karrieren in entgegengesetzter Richtung verlaufen sind, und obgleich ich ihr regelmäßig versichere, dass mir das nichts ausmacht, ist es doch so.
Mein Gefühl von Unzulänglichkeit hat sich sogar bis in unser
Schlafzimmer eingeschlichen, falls Sie wissen, was ich meine,
und dort schwebt es nun über unserem Bett wie einer dieser
Zerrspiegel in der Geisterbahn.
Wie dem auch sei, ich will das wieder in Ordnung bringen
und nicht herumjammern. Ich weiß nur nicht wie. Wenn sich
erst einmal ein Partner in einer Beziehung minderwertig fühlt,
dann wird es schwierig. Denn wie soll man mit dem anderen
darüber sprechen, ohne sich gleich noch viel unsicherer und
bemitleidenswerter vorzukommen? Das ist zum Verrücktwerden. Kann ich jetzt vielleicht damit aufhören?
»Warum starrst du mich die ganze Zeit an?«, fragte Sarah
schließlich.
»Weil du wunderschön aussiehst«, erwiderte ich. Sarah trug
ein dunkelgrünes Samtkleid und goldene Ohrringe und sah in
der Tat höchst attraktiv aus – aber was ich eigentlich gesucht
hatte, war eine wenn auch noch so leise Spur von Zuneigung in
ihren Augen. Ich musste mit ihr sprechen. Ich hatte ihr etwas
Wichtiges mitzuteilen – ihr, Sarah, niemandem sonst. Aber ich
wollte nicht mit jemandem darüber sprechen, der mich ansah
wie einen Fremden.
Jahrelang war ich mir ihrer Liebe sicher gewesen. Zeitweise
war es sogar das Einzige, dessen ich mir sicher war. Auch wenn
alles andere schief geht, Sarah wird mich immer lieben. Inzwischen
war dies so ungewiss wie alles andere.
Trotzdem trugen Essen und Trinken allmählich zu unserer
Entspannung bei. Und fast gegen unseren Willen fingen wir
an, unser Zusammensein zu genießen.
Dabei fiel mir wieder auf, wie sehr ich es vermisste, mich
einfach nur mit Sarah zu unterhalten, wie sehr ich mich immer
gefreut hatte, wenn sie tagsüber anrief. Da Männer ja offensichtlich nie erwachsen werden, zumindest nicht in Gesellschaft ihresgleichen, hatte ich mit Sarah in vieler Hinsicht
meine einzige »erwachsene« Beziehung, und die fehlte mir
schrecklich.
Nach dem Essen legte die Band mit den großen Hits von Cole
Porter los, und so sehr sich der junge Möchtegern-Sinatra auch
bemühte, die Songs zu massakrieren, sie waren einfach zu
schön, als dass es ihm gelungen wäre.
»Wo wir schon mal hier sind, könnten wir ja auch tanzen«,
schlug Sarah vor. Vielleicht meinte sie
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