Patterson James
beängstigend vielseitig und immer wieder aufs Neue in der Lage, mich
in Staunen zu versetzen. Seit dreißig Jahren bin ich nun schon
hoffnungslos in sie verliebt. Sie ist Ärztin, die gefragteste Geburtshelferin von Winnetka und seit acht Jahren Dozentin an
der medizinischen Fakultät der Universität von Chicago. Sie
hat immer mehr verdient als ich in meinem Job als mittelmäßiger Werbetexter bei Leo Burnett, doch das schien, zumindest
bis vor kurzem, keinen von uns beiden zu stören.
Unsere Kinder sind, um es mit einem von Noahs momentanen Lieblingsausdrücken zu sagen, »der Hammer«. Das ist
übrigens etwas Gutes. Darüber hinaus sind sie auch noch einfühlsam, liebevoll, hochintelligent und einfach toll. Sie schlagen ganz nach Sarah.
Elizabeth, die ein Jahr nach unserer Hochzeit zur Welt kam,
ist eigentlich noch immer ein Kind für mich. Dass sie tatsächlich bereits siebenundzwanzig ist, will mir nach wie vor nur
schwer in den Kopf. Es passt einfach nicht zu dem unauslöschlichen Bild von damals, als ich sie zum ersten Mal in den
Armen hielt, Augenblicke nach ihrer Geburt. Aber das trifft
natürlich nicht minder für ihr erstes Rendezvous, ihr zweites,
ihr drittes, ihren Highschool-Abschluss und ihr Universitätsexamen zu. Inzwischen ist sie selbst Ärztin und absolviert in
Yale gerade ihr zweites Praktikumsjahr in der Radiologie.
Simon ist in seinem vorletzten Jahr an der Highschool und
wahrscheinlich der allerbeste Freund, den ich habe – wobei wir
allerdings unsere Beziehung in letzter Zeit etwas auf die Probe
gestellt haben. Der Junge ist so erfrischend lebendig und offen.
Man muss ihn einfach gern haben. Fürs Golfspielen konnte er
sich zwar nie begeistern, aber er ist dennoch die einzige weitere
Sportskanone in der Familie. Er zählt zu den besten Highschool-Fußballspielern unseres Bundesstaates und hat für
nächsten Herbst eine Einladung ins Team der Junioren-Nationalmannschaft.
Und dann wäre da noch Noah, unser großer Philosoph, der
sich ganz unerwartet vor vier Jahren anmeldete und mit seiner
geradezu absurd anmutenden verbalen Frühreife allseits für
fassungsloses Staunen sorgt. Statistisch gesehen ist er wahrscheinlich ein Genie, aber was mich wirklich fertig macht, ist
seine uneingeschränkte Loyalität gegenüber seinem älteren
Bruder.
Eines Abends im letzten Herbst, wir saßen gerade beim Essen, kam Simon mit drei goldenen Ohrringen im rechten Ohrläppchen nach Hause. Seine Mutter und ich reagierten nicht
gerade begeistert auf diesen neuen »Look«.
Nach etwa fünf Minuten stand Noah plötzlich auf und verkündete: »Wenn ihr zwei jetzt nicht endlich aufhört, esse ich
auf meinem Zimmer weiter.« Dann schaute er uns an, zuckte
mit den Schultern und fügte hinzu: »Und außerdem, was soll
die ganze Aufregung? Er ist eben ein Teenager.« Das ist jetzt
nicht erfunden. Noah ist vier Jahre alt.
Simon empfindet natürlich dasselbe für Noah. Genau genommen sind wir alle ziemlich vernarrt ineinander, vielleicht
mit einer Ausnahme in letzter Zeit, nämlich Sarah in mich.
Weshalb ihre Zuneigung zu mir nachgelassen hat? Ich weiß es
nicht genau. Sie hält es für sinnlos, überhaupt noch mit mir
darüber zu sprechen.
Wenn ich es jetzt noch nicht kapiert habe, sagt sie, dann
werde ich es nie kapieren.
Immerhin ist mir klar, dass ich irgendwie einen Durchhänger
habe und immer tiefer in meinem eigenen Sumpf versinke und
dass Sarah die Sisyphusarbeit – denn als eine solche muss es
ihr zweifelsohne vorkommen –, mich wieder herauszuziehen,
endgültig leid ist. Oder wie sie es einmal ausdrückte: »Ich habe
schon drei Kinder. Ich will nicht auch noch mit einem verheiratet sein.« Tatsache ist, dass sie ihre Sache großartig macht,
während ich, furchte ich, eigentlich überhaupt nicht viel mache, außer ihr aufs Gemüt zu schlagen. Und dann behauptet sie
auch noch, dass ich ihren Freunden gegenüber zynisch bin,
und wahrscheinlich hat sie damit nicht einmal Unrecht.
Andererseits habe ich sie wahrscheinlich sowieso nie wirklich
verdient, und es hat einfach nur achtundzwanzig Jahre gedauert, bis sie es selbst herausfand.
Jedenfalls, was ich mir soeben am Weihnachtsabend erlaubt
hatte, war wohl kaum dazu angetan, die Situation zu entspannen.
KAPITEL 5
A
ls ich endlich die Küche betrat, waren sogar fünf zornige
Augenpaare auf mich gerichtet. Ich glaube, ich habe Boris noch
nicht erwähnt, unseren schwarzbraunen Welsh-Terrier, der bei
dem kollektiven Finster-Dreinblicken ebenfalls
Weitere Kostenlose Bücher