Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Wiesinger ihren Mann weiter heraus.
Der ließ sich nicht lange bitten. »Ich bin nicht blind, Doro: Es ist nicht an mir vorbeigegangen, dass du dich mit dieser Französin getroffen hast. Mehrmals sogar.«
»Sie tat mir leid, das ist alles. Sie hat sich mir anvertraut, und ich wollte zwischen deinem Vater und ihr vermitteln. Dazu ist es zwar nicht gekommen, weil sie zu ungeduldig war und selbst Kontakt zu ihm aufgenommen hatte, doch immerhin habe ich mich um sie bemüht. Aber so etwas wie Mitgefühl ist dir ja fremd.«
Andi Wiesinger lachte auf. »Ausgerechnet du sagst das? Wo du ständig um jeden Cent deines Erbes bangst! Dein angebliches Mitgefühl nehme ich dir nicht ab, Doro. Die Polizei wird es ebenso wenig tun. Die Kleine war dir ein Dorn im Auge!«
Doro Wiesinger funkelte ihren Mann böse an.
Dieser legte mit Gewalt einen Arm um ihre Schulter. Seine Stimme klang jetzt säuselnd: »Steig ein, Doro. Schönberger hat für dich sogar die Minibar nachgefüllt.«
»Du bist ekelhaft.«
»Was hast du in jener Nacht in Nürnberg gemacht?«
Paul wünschte sich inständig, nicht die Aufmerksamkeit des streitenden Paares zu erwecken, und drückte sich dicht an den Baum. Vom Rest des Gesprächs bekam er kaum etwas mit. Die Wiesingers zankten noch eine Weile in gedämpftem Ton. Dann ließ Andi Wiesinger seine Frau unvermittelt stehen und passierte grußlos den Pförtner.
Doro Wiesinger ging ihm einige Schritte hinterher und schaute ihm dann perplex nach. Paul meinte zu erkennen, wie ein leichtes Zittern durch ihren Körper ging.
Während Paul überlegte, was er tun sollte, winkte sie die wartende Limousine zu sich heran. Der schwere Wagen rollte langsam bis an den Bordstein neben sie, und das Fahrerfenster glitt herunter. Paul sah Schönbergers schlohweißen Haarschopf.
»Darf ich Sie jetzt nach Hause fahren, Frau Wiesinger?«, erkundigte sich der Chauffeur.
»Nein, nein, nicht nach Hause. Zum Flughafen!« Sie stieg ein, viel schneller, als Paul hätte reagieren können. Schönbergers verwunderte Frage »Kein Gepäck?« war das Letzte, was Paul hörte, bevor sich das massige Gefährt nahezu geräuschlos in Bewegung setzte.
Ratlos sah Paul auf das schnell kleiner werdende Heck. Hatte er richtig gehört? Nur schwer konnte er sich vorstellen, was in Doro Wiesinger vorging und ob sie wirklich glaubte, sich Hals über Kopf davonstehlen zu können.
Er wählte Katinkas Nummer. Endlose Sekunden hörte er lediglich das Rufzeichen. Von der Limousine war inzwischen nichts mehr zu sehen.
»Ich bin in einer Besprechung«, zischte Katinka ins Telefon. »Ruf später wieder an.« Damit legte sie auf.
Paul fuhr sich mit der freien Hand aufgebracht durchs Haar und betätigte die Wahlwiederholung. Wieder musste er lange warten. Dann hörte er Katinka fauchen: »Ich bin im Büro des Oberlandesgerichtspräsidenten.«
»Bekommst du einen Haftbefehl für Doro Wiesinger?«, wollte Paul wissen.
»Bist du verrückt? Eine zweite überstürzte Aktion gegen ein Mitglied dieser Familie kommt nicht in Frage.« Flüsternd fügte sie hinzu: »Ich kämpfe gerade dafür, sie wenigstens vorladen zu dürfen.«
»Dafür bleibt keine Zeit«, drängte Paul. »Doro Wiesinger will türmen!«
Als keine Antwort folgte, erkannte Paul, dass Katinka bereits wieder aufgelegt hatte. Energisch drückte er wieder die Wahlwiederholung. Dieses Mal meldete sich nur Katinkas Mobilbox. Mit Wucht trat Paul gegen den Stamm des Baums, bevor er ihr mit kaum unterdrückter Wut aufs Band sprach.
Dann wählte er seine eigene Nummer.
Blohfeld war sofort am Apparat. »Ja?«
»Ich bin’s: Flemming. Nehmen Sie sich meinen Wagen und fahren Sie zum Flughafen! Ich komme mit dem Taxi hinterher.«
»Moment, Moment«, bremste der Reporter Pauls Schwung. »Was soll ich beim Airport? Mein Haftbefehl ist noch nicht aufgehoben. Ihre Freundin wird mich sofort einkassieren.«
»Vergessen Sie Katinka!«, herrschte Paul ihn an. »Doro Wiesinger ist auf dem Weg zum Flughafen.«
Diese Information reichte Blohfeld. Er legte auf. Paul rief die Taxizentrale an.
43
Kurz hinter dem Kreisel im Zufahrtsbereich des Flughafens staute sich der Verkehr. Paul bezahlte den Taxifahrer und sprang aus dem Wagen. Er rannte an den Parkhäusern und dem Hotel vorbei und eilte in Richtung der gläsernen Schiebetüren vor der Abflughalle 1. Dann blieb er abrupt stehen: In einer Parkbucht wenige Meter von ihm entfernt stand die Wiesinger-Limousine. Sollte Doro Wiesinger womöglich erst jetzt
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