Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Liquidation benutzt.«
»Habe ich?«
»JA!«
Da »Spuerhund« wieder schwieg, startete Paul einen neuen Versuch. Es war einfach zu nahe liegend, diese Frage zu stellen: »Hieß Ihr Bekannter vielleicht Henlein?«
»Spuerhund« reagierte nicht. Vielleicht musste er mal aufs Klo, oder vielleicht holte er sich auch ein Bier, dachte Paul. Vielleicht war er auch gar kein Er, sondern eine Sie. Und vielleicht wohnte diese Sie ganz in seiner Nähe.
Paul grübelte über seinen Chatpartner und die Andeutungen, die er gemacht hatte, nach. Eine weitere Antwort aber erhielt er nicht.
»Spuerhund – bitte melden!«, schrieb er wieder und wieder.
Nach einer halben Stunde gab er auf. Noch immer sehr nachdenklich klickte er in sein Fotoarchiv und schaute sich die unbearbeiteten Fotos an, die er im Germanischen Nationalmuseum gemacht hatte.
Inzwischen hatte Paul sein Bier ausgetrunken. Mit routinierter Schnelligkeit klickte er die Bilder des Tatorts an und sortierte sie in die Unterordner »Gut«, »Mittel« und »Ausschuss« ein. Immer wieder blitzte für einige Sekunden der tote Museumsmitarbeiter auf seinem großen Flachbildschirm auf, dann kamen die Fotos von der Waffenkammer in der Totalen und im Detail.
Schließlich gelangte Paul zu den Aufnahmen von der Tatwaffe. Auch diese beurteilte er nach Schärfe, Belichtung und Ausschnitt und schob sie in den jeweiligen Ordner.
Dann aber hielt er plötzlich inne, ein Motiv auf der reichlich bebilderten Klinge des Schwertes hatte ihn stutzen lassen. Er holte ein bereits in den Unterordner »Mittel« verschobenes Foto zurück und stellte es bildfüllend dar.
Am oberen Bildrand war der ihm bereits bekannte Spruch zu lesen: »DEN SEGEN HAT DAS HAUPT DES GERECHTEN.« Im unteren Teil der Satz: »ABER DER MUND DES GOTLOSEN WIRT IR FREVEL UBERFALLEN – DAS GEDAECHTNIS DER GERECHTEN BLEIBT IM SEGEN.« Zwar kannte Paul diese Sätze schon, aber die sorgsam gestochene Abbildung einer Blüte unmittelbar neben dem zweiten Schriftzug war ihm bisher noch nicht aufgefallen.
Erst jetzt, vielfach vergrößert auf seinem Monitor, konnte er die Darstellung erkennen: eine kelchförmige Blüte mit schmalen, weit geöffneten und an den Enden leicht herunterhängenden Blütenblättern und zwei Staubgefäßen in der Mitte. Eine Lilie, schoss es Paul durch den Kopf. – Und genau diese Zeichnung einer Lilie hatte er schon einmal gesehen!
Paul wurde es vor Aufregung abwechselnd heiß und kalt. Vielleicht lag es an seinem Mailverkehr mit »Spuerhund«, vielleicht nur an dem Hefeweizen, wer wusste das schon. Mit der Maus klickte er sich bis zu dem Ordner zurück, den er nach seinem Treffen mit Henlein angefertigt hatte. Es dauerte nicht lange, bis er die Fotos fand, die Henleins Medaillon zeigten. Paul vergrößerte die Aufnahmen – und verharrte ehrfürchtig vor dem Bildschirm. Ganz wie es Paul in Erinnerung hatte, stellte das Motiv in Henleins Medaillon ebenfalls eine Blume dar: eine Lilie, die der auf dem Schwert verblüffend ähnlich sah.
Was hatte das zu bedeuten?, fragte sich Paul.
Plötzlich fühlte er sich wieder wach. Er musste noch einmal an den Tatort zurück: ins Germanische Nationalmuseum! Er musste eine Erklärung für die Bedeutung dieser Lilie finden, musste in Erfahrung bringen, welche Rolle sie spielte!
Paul stand auf und fuhr sich nervös über seine Bartstoppeln. Die Blume war im Zusammenhang mit zwei Toten aufgetaucht, zwei Todesfälle, die bis zu diesem Augenblick nichts miteinander zu tun gehabt hatten. – Doch das hatte sich nun schlagartig geändert.
Paul sah auf die Uhr: Für einen Besuch im Museum war es eindeutig zu spät; wohl oder übel musste er bis morgen warten. Um schlafen zu gehen, war er allerdings viel zu aufgeregt. Vielleicht würde abermals Jan-Patrick ein offenes Ohr für ihn haben – und einen guten Wein, um ihm die nötige Bettschwere zu verschaffen . . .
20
»Soso«, grinste Jan-Patrick und wischte sich seine Hände an seiner Schürze ab, die – mit Flecken übersät – vom Ende eines langen arbeitsreichen Abends in der Küche zeugte. »Ein Mitternachtsschmaus schwebt dem Herrn Hoffotografen, meinem derzeit treusten Kunden, also vor.«
»Ja, so in etwa«, sagte Paul mit einschmeichelndem Lächeln auf den Lippen. Er hatte wieder am Tisch neben dem Küchenzugang Platz genommen. Das Lokal war jetzt fast leer, nur ein Liebespärchen hielt sich einige Tische weiter noch beim Nachtisch auf. Marlen wartete im Hintergrund schon mit der Rechnung.
»Wärst
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