Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Herta und Hermann in Herzogenaurach, beschränkte sich das Verhältnis leider auf einige wenige Höflichkeitsbesuche im Jahr. Eigentlich war er tatsächlich allein.
Zwar war es soeben Blohfeld gewesen, der das Thema Berlin offen angesprochen und Paul damit aus der Reserve gelockt hatte, nun aber schlüpfte der Reporter unerwartet in die Rolle von Pauls Verteidiger. Zu Katinka sagte er: »Allerdings, geschätzte Frau Staatsanwältin, verlangen Sie tatsächlich zu viel von unserem gemeinsamen Freund Paul Flemming.« Der Reporter rieb sich angriffslustig die Hände und rollte mit den Augen.
An seinen Gesten erkannte Paul, dass Blohfeld in seinem Geist noch dabei war, nach den geeigneten Worten für seinen gleich folgenden Appell zu suchen:
»Was haben Timbuktu, Atlantis, Samarkand, Eldorado und Nürnberg gemeinsam?«, fragte Blohfeld die erstaunt blickende Katinka. »Nun ja, es sind Orte, deren Existenzen auf der Landkarte weitaus weniger Bedeutung haben als ihr Mythos. Städte wie Nürnberg sind aus und auf Träumen gebaut. Berlin dagegen . . .?«
»Aber Herr Blohfeld«, sagte Katinka nun belustigt, »ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Nürnberg ist Provinz, Berlin dagegen eine der angesagtesten Metropolen Europas.«
Der Reporter sah sie aus listig funkelnden Augen an und meinte: »Aber Nürnberg war die kulturelle und geistige Hauptstadt der deutschen Romantik. . .«
». . . und des deutschen Faschismus«, entgegnete Katinka schlagfertig.
»Nürnberg war, ist und bleibt ein gewaltiges steinernes Denkmal deutscher Größe«, trumpfte Blohfeld auf.
»Und Berlin Hauptstadt und Regierungssitz«, ließ sich Katinka nicht unterkriegen. »Dort wartet meine Karriere auf mich.«
Obwohl die Menge auf den Tellern alles andere als üppig bemessen war, aß niemand außer Blohfeld den kompletten Gang auf. Auch in der Nachspeise – wahlweise Käse-Carpaccio oder Pfeffereis mit Pflaumen – stocherten alle nur lustlos herum.
Hannah, die den ganzen Abend über kaum ein Wort gesagt hatte, meinte plötzlich: »Sind die Fälle Henlein und Sloboda eigentlich inzwischen ad acta gelegt?« Sie bewirkte mit dieser Frage, dass der kompletten Runde – Paul inklusive – der Mund vor Staunen offen stehen blieb.
»Ist doch wahr!«, sagte sie energisch. »Es ist noch keine zwei Wochen her, da hatten alle an diesem Tisch nichts anderes im Sinn als die beiden Morde und den Fall Hauser. Und heute? Alles vergangen und vergessen.« Bissig fügte sie hinzu: »Bloß, weil keiner sich an die Täter herantraut!«
»Hannah, lass es gut sein«, fuhr ihr Katinka über den Mund. »Du weißt ja gar nicht, wovon du sprichst.«
»Und ob ich das weiß, Mama!«, widersprach Hannah. »Keiner von euch hat den Mumm, den Namen Schrader in der Öffentlichkeit auch nur in den Mund zu nehmen.«
Tatsächlich ertappte sich Paul dabei, wie er sich besorgt nach vermeintlichen Spitzeln Schraders umsah.
»Und diesem schmierigen Antiquitätendealer Zetschke ist ja wohl auch nicht beizukommen«, redete sie weiter.
»Pssst!« Katinka wurde langsam sauer. »Weißt du eigentlich, wie teuer dich Rufschädigung zu stehen kommen kann?«
»In Berlin verdienst du doch dann genug, um für deine rebellische Tochter Kaution zu hinterlegen«, trotzte Hannah frech weiter.
»Ich muss schon sagen, liebes Ex-Christkind: Jetzt überspannen Sie den Bogen«, schaltete sich Blohfeld wieder ein, »wenn ich Ihr Vater wäre . . .«
»Sind Sie aber nicht – Gott sein Dank«, ätzte Hannah. »Außerdem schneiden Sie mit Ihrer verkappten Hauser-Story auch nicht gerade gut ab: Erst machen Sie mit Ihren Zeitungsartikeln die Leute heiß, und dann bleiben Sie ihnen den Beweis für eine neue Spur im Fall Kaspar Hauser schuldig. Typisch Boulevardzeitung.«
»Jetzt reicht’s aber!«, donnerte Blohfeld, wobei sich seine sonst stetig kalkweißen Wangen rosa färbten. »Erstens: Ich habe Schrader auf den Zahn gefühlt. Er hat – was uns seine Sekretärin gnädigerweise wissen ließ – für die in Frage kommende Zeit der Morde wasserdichte Alibis. Ebenso verhält es sich mit Zetschke, der inzwischen – wenn auch kleinlaut – wieder aufgetaucht ist. Und zweitens: Die Hauser-Story ist noch lange nicht tot!« Der Reporter richtete seinen Blick auf Paul. »Herr Flemming ist mir noch eine gewisse Gefälligkeit schuldig. Für die DNA-Analyse benötigen wir das komplette Hauser-Hemd aus dem Nachlass von Franz Henlein . . .«
». . . das ich der Witwe abschwatzen soll«, vollendete Paul den
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