Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Satz.
»Und?« Hannah fixierte ihn. »Warum machen Sie das nicht?«
»Weil . . .« Paul fühlte sich von Hannah ins Kreuzverhör genommen. »Na ja, ich konnte mich bisher nicht dazu durchringen, die arme Frau noch einmal zu belästigen. Außerdem glaube ich, dass es sich bei dem Hemd ohnehin nur um eine Fälschung handelt.«
»Ihr seid ja tolle Ermittler.« Hannah stand abrupt auf. »Ich muss jetzt los, Leute. Mein Freund wartet auf mich. Ödet euch nur weiter an.« Sie drückte ihrer Mutter im Gehen einen Kuss auf die Wange. »Und wir sehen uns morgen am Airport.«
Paul fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut, als er die anderen ansah. Alle wirkten beklommen, und der Grund dafür war nur allzu offensichtlich. »Nun – Hannah hat nicht ganz Unrecht«, sagte Paul leise. »Es ist das erste Mal, dass wir uns in einem gemeinsamen Fall geschlagen geben müssen. Denn wenn wir ehrlich sind, haben wir das Ende der Fahnenstange bereits erreicht, und die Taten bleiben ungesühnt.«
»So ein Quatsch«, entfuhr es Blohfeld, der stur auf seinen Teller sah.
»Die beiden ungeklärten Fälle werden natürlich nicht aufgegeben«, sagte Katinka in wenig überzeugendem Ton. »Mein Nachfolger hat alle Akten bereits gesichtet und wird sie selbstverständlich zum Abschluss bringen.«
»Und was die Sache mit Kaspar Hauser anbelangt«, fügte Blohfeld hinzu und schien langsam wieder Oberwasser zu gewinnen, »es steht – wie gesagt – noch immer Ihr Besuch bei der Witwe an.«
»Gut«, lenkte Paul ein, »versprochen ist versprochen. Morgen ist Freitag, da wird Frau Henlein nachmittags sicherlich zu Hause sein. – Ich werde sie besuchen und mein Bestes geben. Aber wenn sie mir das Hauser-Hemd nicht aus freien Stücken überlässt, bin ich aus der Sache draußen. Dann bleibt es bei der Never-ending-Story um das Findelkind Kaspar Hauser.«
»Ein Mann, ein Wort«, sagte Blohfeld und zwinkerte Paul aufmunternd zu. Dann hatte auch er es plötzlich eilig, die Runde zu verlassen. Zu Pauls Erstaunen verzichtete der Reporter sogar auf seine obligatorische »Zigarre danach« und war nach kurzer Verabschiedung verschwunden.
»Bei uns beiden wird es wohl nichts mit einer Never-ending-Story, was?«, stellte Katinka gefasst fest, als sie allein an dem Tisch saßen. Sie erwartete wohl nicht ernsthaft eine Antwort darauf, denn sie nahm sie scherzhaft gleich vorweg: »Ich gewinne allmählich den Eindruck, dass du deinem Zwilling aus Hollywood nicht nur rein äußerlich, sondern auch charakterlich gleichst: der ewige Junggeselle eben.«
Sie tranken schweigend ihren Wein und brachen dann auf.
35
Gemeinsam mit Hannah verließ Paul den Flughafen. Schweigend fuhren sie die Rolltreppe zur U-Bahn-Station hinunter. Auch während der Strecke bis zum nächsten Halt Ziegelstein sprach keiner von ihnen ein Wort.
Erst danach raffte sich Hannah zu einer Äußerung auf: »Ich bin sicher, dass es Mama in Berlin gut gehen wird. Sie ist zäh, beißt sich durch.«
»Sicher«, stimmte Paul mit gesenktem Kopf zu. In Gedanken sah er Katinka noch immer in der Sicherheitskontrolle des Flughafens vor sich, wie sie sich noch einmal zu ihm umdrehte und ihn mit einem Blick ansah, in dem ihre ganze Einsamkeit zum Ausdruck kam. Für diesen einen Augenblick hatte sie ihren äußeren Panzer abgelegt und ihm zu verstehen gegeben, dass er sie mit seiner Entscheidung, in Nürnberg zu bleiben, tief getroffen und verletzt hatte.
»Aber«, redete Hannah weiter, »sie ist ja nicht aus der Welt. Von Nürnberg aus kann man ja ständig nach Berlin jetten. Die Flüge sind sogar ziemlich billig, wenn man rechtzeitig bucht.« Sie schwenkte den Flyer einer Fluggesellschaft vor seiner Nase, den sie wohl im Airport eingesteckt hatte.
»Sicher«, wiederholte Paul, dem bewusst war, dass die Distanz zwischen ihm und Katinka nicht allein in Kilometern beziehungsweise Flugmeilen zu messen war. Um sie zu überbrücken, bräuchte er mittlerweile mehr als bloß ein Flugzeug.
»Und?«, fragte Hannah nun schon wieder besser aufgelegt, als sie die Station Rennweg hinter sich ließen. »Was fangen Sie mit diesem angebrochenen Freitag noch Schönes an?«
Paul erzählte ihr von seinem Vorhaben, endlich noch einmal bei Henleins Witwe vorbeizuschauen. »Am Sand ist ja nicht allzu weit. Und was hast du so vor?«, erkundigte er sich mehr aus Höflichkeit, als aus echtem Interesse.
»Uni«, sagte Hannah mit gerümpfter Nase. »Ich habe noch eine Vorlesung, vor der ich mich nicht drücken
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