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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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ihn. Dann hörte er ihre Stimme.
    Sie schien von weit her zu kommen und klang merkwürdig unaufgeregt. Fast wie die einer Nachrichtensprecherin:
    »Ich sage Ihnen gleich: Das ist nicht persönlich gemeint. Sie können wirklich nichts dafür. Wenn es nach mir ginge, würde das alles nicht passieren. – Aber Sie sind nun einmal hier, zur falschen Zeit am falschen Ort. Spazieren herein, als wäre es Ihre Wohnung. Was konnte ich denn anderes tun, als Ihnen mit der Bratpfanne . . . – ich hoffe, es hat nicht allzu sehr wehgetan.«
    Paul rüttelte wütend an der Heizung.
    »Sie kennen ja meine Lebensgeschichte«, fuhr die Witwe unbeirrt fort. »Ach was, natürlich ist das übertrieben. Das Wichtigste wissen Sie, zumindest reicht es dafür, sich ein Bild machen zu können. Und verstehen zu können – mich verstehen.
    Sie kannten meinen Mann: Sie wissen von seinem Drang, sich Zeit seines Lebens mit Kaspar Hauser zu befassen. Alles andere hinten anzustellen. Das Leben, die Ehe, mich. Er hat alles andere aufgegeben, um seine ganze Energie in seine einzige Leidenschaft zu stecken: Hausers Geheimnis zu lüften und damit auch sein eigenes. Doch es war klar, dass er nur einer Illusion nachhing, einem Hirngespinst, das nicht zuletzt auch unser ganzes Geld aufbrauchte.«
    Zu Pauls Entsetzen machte die Witwe noch immer keinerlei Anstalten, ihn loszubinden. Stattdessen verlor sie sich in Selbstmitleid:
    »Was hätte ich für ein schönes Leben führen können! Ab und zu eine kleine Reise, ein bisschen Luxus . . . – Aber Franz hat mir selbst diese bescheidenen Ziele verbaut. Immer und immer wieder hat er all unsere Ersparnisse für sein Hobby ausgegeben, für seine Sucht!
    Jahrzehntelang habe ich zurückgesteckt, immer bloß die zweite Geige gespielt. Nur sein Hobby zählte – seine Vision. Und wo blieb ich dabei? Was mein Mann mir angetan hat, war Demütigung durch Nichtbeachtung!«
    Höchst beunruhigt registrierte Paul ein wütendes Funkeln in Frau Henleins undurchdringlichen Knopfaugen. Sie stand wieder auf und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Ihr Tonfall wurde härter, als sie sagte:
    »Doch dann reifte mein Plan heran. Ich habe viel nachgedacht, denn ich wollte ja alles perfekt machen.«
    Paul sah sofort die vorsätzlich gelösten Radmuttern an Henleins Auto vor seinem geistigen Auge. Sollte es die Witwe gewesen sein, die klammheimlich nachgeholfen hatte? Bei dem Gedanken daran drehte sich sein Magen um. Die eigene Frau hatte an Henleins Wagen manipuliert. Unfassbar! Ein perfider Plan für einen fast perfekten Mord, zollte Paul ihr bittere Anerkennung.
    Frau Henleins Nervosität nahm nun wieder sichtbar zu. Unruhig wechselte sie von einem Fuß auf den anderen. »Glauben Sie bloß nicht, ich wäre eine kaltherzige Mörderin. Nein, das bin ich ganz bestimmt nicht! Ich habe die Vernachlässigung jahrelang still geduldet, habe nie etwas gesagt. Doch meine Frustration hat sich in mich hineingefressen, mich innerlich ausgehöhlt. Trotzdem habe ich mein Vorhaben immer wieder aufgeschoben. All die Zeit über war es nur ein tröstendes Gedankenspiel für mich.«
    Paul bemerkte beängstigt, wie ihre Stimme bebte, als sie weitersprach: »Und dann kaufte er dieses Hemd. Hausers Hemd, wie er sagte, dass ich nicht lache! Das Geld dafür hob er von unserem gemeinsamen Sparbuch ab. Wir hatten es uns fürs Alter aufgespart. Ohne mich zu fragen, hat er das ganze Guthaben abgeräumt!
    Zum Schluss wollte er sich auch noch seine Lebensversicherung ausbezahlen lassen. Ausgerechnet die Versicherung, die er einmal für mich abgeschlossen hatte. Meine ganz persönliche Altersvorsorge – damit ich nach seinem Tod nicht in Not gerate, hat er immer gesagt. Knall auf Fall wollte er sie auflösen, um damit irgendeine sinnlose Analyse mit Genen und noch anderem wissenschaftlichen Quatsch zu bezahlen. Wo liegt da der Unterschied zu einem notorischen Zocker? Alles wollte er zuletzt aufs Spiel setzen – einfach alles! Das ist doch krank, oder etwa nicht?«
    Frau Henlein sah Paul fragend an, als ob sie auf eine Antwort wartete.
    »Als ich das alles erfuhr, war es vorbei mit meinen bloßen Gedankenspielen. Ich musste einfach etwas unternehmen«, sagte sie mit schriller, beinahe hysterischer Stimme. »Ich bin Ende fünfzig – ich will endlich leben! Verstehen Sie das nicht?«
    Sie ging wieder in die Knie, ihr Gesicht war Paul sehr nah: »Auch für die Zeit nach seinem Tod hatte ich mir einen Plan zurechtgelegt. Genauso einfach und sicher wie der

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