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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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offizielleren Aufnahmen waren schwarz-weiß. Seine Geschichte war hier festgehalten, bis er fünf wurde. Es gab ein paar Schnappschüsse von der Feier zu seinem fünften Geburtstag, von der Torte, den Kindern von befreundeten Nachbarn in dem Wohnhaus, in dem er in der Stadt gelebt hatte, von dem Berg der ausgepackten Geschenke. Dann waren die Seiten leer.
    Paul blätterte sie verärgert um, ohne so recht zu wissen, wonach er eigentlich suchte.
    Dann kam eine Seite mit einem einzelnen vergrößerten Farbfoto.
    Es zeigte seine Mutter, die aus einem großen Gebäude heraustrat – das Krankenhaus, wie er vermutete. Sie hielt das neue Baby im Arm, Jacob, der in eine blaue Decke gewickelt war. Er schlief.
    Seine Mutter versuchte zu lächeln, aber ihre Augen machten auf Paul einen traurigen, verwirrten Eindruck.
    Er blätterte zurück, bis er ein Bild von sich in der Astgabel eines Baums fand. Das musste im Central Park aufgenommen worden sein, etwa zu der Zeit, als er fünf wurde. Damals war Jacob schon zur Welt gekommen. Offenbar hatte Daddy der Wohnung und dem Baby entkommen wollen und war deshalb ganz schnell aufgebrochen, um mit Paul in den Park zu gehen.
    Paul hatte gelacht, als er zwischen den Zweigen hindurch zu Daddy lugte. Die Informationen, die Grandpa ihm über Jacob gegeben hatte, waren wohl noch nicht zu ihm durchgedrungen.
    Dass seine Eltern aufgehört hatten zu fotografieren, sah Paul als Zeichen ihrer Enttäuschung. Jacob hatte sie davon abgeschreckt. Ist ja auch kein Wunder, dass sie abgeschreckt wurden, dachte er.
    Er legte das Album wieder in die Kiste, machte das Licht aus und trat auf den Flur. Jack, das Kätzchen, schlief mitten auf dem Teppich, ein kleines Fellknäuel, hinter dem das Nachtlicht über der Fußbodenleiste schimmerte.
    Was ihm morgen bevorstand – der Weg zur Praxis von Dr. Brill, zusammen mit Jacob, der stolperte, im Kreis lief, sich um Paul herumzuwickeln versuchte und sich dabei an ihn klammerte – war das Schlimmste, was ihm je widerfahren war. Und es gab keinen Ausweg.

DER ERSTE SAMSTAG
     
     
     
     
     
     
    Während Jacob sich anziehen ließ oder selbst anzog oder Kleidungsstücke wie von Zauberhand durch die Luft zu ihm geflogen kamen, wartete Paul mit grimmiger Geduld auf dem Bürgersteig vor dem Haus. Die Hände hatte er in die Taschen einer fleckigen Jacke gesteckt, bei der seine Handgelenke aus den Ärmeln hervorragten.
    Er trug seine ältesten Sachen, von denen ihm nichts mehr so ganz passte.
    In normalem Tempo konnte er in zehn Minuten zum Geschäftsviertel von Brasston gehen. Mit dem Fahrrad schaffte er es in zwei. Allerdings nur, wenn er allein war.
    Er hörte die Haustür aufgehen und ins Schloss fallen. Jacob kreischte: »Paul!«
    Unwillkürlich drehte sich Paul zum Haus um. Seine Mutter stand auf der Treppe, die zur Eingangstür führte. Sie hielt Jacob an der Hand und lächelte Paul krampfhaft zu. Er wusste, dass sie so tat, als wäre es etwas völlig Normales, dass er mit Jacob zum Arzt ging.
    Auf Jacobs Ruf reagierte er nicht. Er wandte den Blick ab und starrte einen Riss im Asphalt des Bürgersteigs an. Zwei Ameisen liefen daran entlang. Paul malte sich aus, wie die Ränder der Ritze auf die Ameisen wirken mussten – wie Klippen, die hoch über ihnen aufragten. Er rief sich das vergrößerte Teichwasser im Naturkundemuseum ins Gedächtnis zurück.
    Er dachte tatsächlich an etwas anderes als an Jacob. Dieser Gedanke war ihm ein Trost und er empfand einen kleinen Triumph.
    Jacob zog Mom den kleinen Weg entlang, der vom Haus zum Bürgersteig führte. Sie rief mit falscher Fröhlichkeit: »Jacob! Jacob!« Jetzt war Jacobs aufgeregtes Atmen nicht mehr zu überhören.
    Blitzschnell hatte sie Jacobs Hand in seine gedrückt – und genauso schnell machte sich Paul wieder davon los.
    Sie räusperte sich, als sie den Weg zur Haustür zurückging. Ihr Kopf war gesenkt.
    Pauls Gesicht war so leer wie eine Muschelschale.
    Aber hinter seiner ausdruckslosen Miene rasten die Gedanken durch seinen Kopf, wie Wolken bei windigem Wetter über den Himmel jagen. Es waren finstere, von Donner erfüllte Gedanken, in denen wortloser Groll lag.
    Er machte den ersten Schritt. Lachend machte auch Jacob einen Schritt und kläffte dabei wie ein junger Hund.
    Paul schlug ein schnelleres Tempo an. Jacob hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Unten am Häuserblock kam ein Ehepaar aus einem Haus. Der Mann rief den beiden Jungen hinterher: »Unternimmst du etwas mit deinem Bruder? Das ist

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