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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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Im gleichen Augenblick, als ich deinen Schatten den Spitalstieg entlangschlingern sah, ging mir auf, dass ich das Mandolinenorchester dir gegenüber nicht einmal erwähnt hatte. Als sei das irgendwie zu riskant gewesen. Nein, Ragnhilds Orchester landete natürlich am gleichen Ort wie alles um mich herum, in nichts als Schweigen.
    Ich bremste lieber im letzten Moment, als den Rand dieses Schattens zu überfahren, und katapultierte den Mazda auf den Bürgersteig. Du drehtest dich zum Glück nicht um, und der Schatten schaukelte weiter, halbwegs in deiner Umarmung.
    Ich lehnte mich verwirrt gegen das Steuer und blickte dir nach. Die Rückansicht war unverändert, schlaksig attraktiv, und dieser schlingernde Gang. Aber das helle Haar war grau geworden. Wer hätte das gedacht.
    Der Schatten ging vor dir her und geleitete dich über die Bergstaðastræti, direkt zu der Ecke, an der wir uns gewöhnlich nach den Spaziergängen zum Abschied zwei Küsschen gegeben hatten. Ich wartete, bis du die Óðinsgata überquert hattest und die Þórsgata hinaufgingst. Ich ließ den Mazda auf dem Bürgersteig zurück und ging auf deinen Spuren das Stück bis nach Hause in die Sjafnargata.
    Du warst also gekommen, um mich endlich zu holen und mitzunehmen – wohin?

    Anstatt gleich in mein Zimmer zu gehen, wankte ich die Treppe zu Ragnhild hinauf, die im karierten Hausmantel ihres Mannes am Küchentisch saß. Ich finde zwar, es ist eineUnsitte, die Sachen von Verstorbenen anzuziehen, aber soll sie das halten, wie sie will.
    Möchtest du vielleicht einen Kaffee und einen Krapfen?
    Ich zucke immer noch zusammen, wenn Ragnhild mir etwas anbietet. Natürlich kam es vor, dass sie mir etwas anbot, nachdem sie aufgehört hatte zu arbeiten, aber ich habe mich nie daran gewöhnt.
    Am liebsten hätte ich gesagt: Trink du deinen Kaffee, wie du es gewohnt bist, Ragnhild. Du brauchst dir keine Mühe zu machen und mir etwas vorzusetzen, ich hole es mir schon selbst, genau wie immer.
    Na was denn, was denn. Das ist eine alte Frau mit einem Osteoporose-Buckel, der Haralds Hausmantel ausbeult. Lassen wir das. Kaffee, Kaffee und nochmals Kaffee.
    Ich holte mir einen halbgefrorenen Krapfen und knabberte daran, während ich im Türrahmen herumstand.
    Ragnhild wedelte mit der Zeitung.
    Hier steht, dass er wieder da ist. Wusstest du das?
    Er war vorhin auf dem Spitalstieg.
    Sie sagen, er ist endgültig heimgekommen und hat das elterliche Haus gekauft.
    Ich setzte mich und ließ mir von Ragnhild die Zeitung geben. Ein großes Farbfoto von ihm neben einem orangefarbenen Betonmischer vor dem Haus in der Schulstraße. Den musste er aus Italien importiert haben, Mischtrommeln von dieser Farbe hatte ich in der Stadt noch nie gesehen. Meine ist zementgrau.
    Er ist also geschieden, sagte Ragnhild. Signora Lúkasson hält es in Island nicht aus. Oder vielleicht ist sie tot.
    Das hätten sie dann doch wohl erwähnt.
    Du trauerst ihm noch nach, sagte Ragnhild und schoss genau wie immer rasch und zielsicher auf ihr Thema zu: Die Trauer und ich, wir sind keine Unbekannten. Aber es ist eineSache, klipp und klar zu sterben, und eine andere, wieder zurückzukommen.
    Ich wollte sie fragen, ob das Letzte ein Zitat aus irgendeinem Gedicht war, aber sie schaltete in ihren Zischgang, o-sso, beim Einatmen, zog ein kleines Foto ihres Geliebten hervor, das sie geschmackloserweise in der Hausmanteltasche ihres verstorbenen Ehemanns aufbewahrt, und stützte sich dabei am Tisch ab.
    Forschend betrachtete sie das Bild und reichte es mir dann. Ein angehender Dichter mit Augen wie gewisse Genies hat ein ungereimtes Abschiedsgedicht an Ragnhild verfasst, in dem «deine selige Hand» vorkommt und hellgrüne Lava, wahrscheinlich die beim Lungensanatorium in Vífilsstaðir.
    Wenn er noch lebte, hätte er sich bestimmt mit Amphetamin vollgestopft, genau wie die anderen, und irgendwelchen Horror über dubiose Gestalten auf Entzug gedichtet. Und hätte er weitergelebt, wäre ich ein ungeborenes Kind. Nur existent in Gottes Sinn.
    Ragnhild sieht mir in die Augen. Ansonsten ist sie klug genug, das so selten wie möglich zu tun. Nie sind mir Augen wie ihre untergekommen, sie sind entweder durchsichtig, als würde man durch sie hindurchblicken, oder abweisend wie eine Wand.
    Ich sehe rasch weg, und Ragnhild sagt: Dass ich nicht ebenfalls sterben durfte.
    Mit anderen Worten: Du spielst keine Rolle, dich hat es nie gegeben, auch Mummi nicht, und noch nicht einmal Harald. Möge er in Frieden

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