Paula geht
beiden Hamster Schnief und Pieps zu versorgen.
Oben auf der Treppe stand sie plötzlich ihrem Ganzkörper-Spiegelbild gegenüber. Sie musterte sich kritisch. In den letzten drei Monaten seit ihrer Kündigung hatte sie tatsächlich von alleine drei Kilo abgenommen. Nicht, dass man das sehen würde, aber sie spürte es daran, dass die Hosen weniger zwickten. Dieser Kaftan stand ihr gar nicht schlecht, den ihre Mutter ihr aus Marokko mitgebracht hatte. Auch mit ihrem Gesicht war sie zufrieden. Das war das Gute an molligen Frauen, die alterten langsamer.
Aber diese Haare, die mussten dringend mit Frauchen zum Friseur. Knappe Kasse hin oder her, da ging kein Weg mehr dran vorbei. Da half auch das knallige Tuch nicht mehr, mit dem sie die ausgewachsenen Strähnen nach hinten zu binden versucht hatte. Aber Färben würde sie vorher selbst, damit der Friseur nicht auf die Idee käme, das für viel Geld zu tun. Zu einem neuen Leben passt doch auch eine neue Haarfarbe. Paula hatte in den letzten Jahren alle Rottöne durchprobiert, die der Markt hergab. Aber eine Blonde war sie nun wirklich nicht. Wie wäre es denn mit Silbergrau? Das könnte ganz apart zu dem eher noch junggebliebenen Gesicht aussehen. Oder doch mal wieder Kastanienbraun, das ihrer ursprünglichen Farbe am nächsten kam?
Es klingelte. Schnell lief sie die Stufen hinunter und schaute durch den Spion in der Haustür. Zeugen Jehovas den Heftchen nach zu urteilen, die sie vor sich hertrugen wie den heiligen Gral. Die kamen ihr gerade recht. Nach so vielen Jahren privater sozialer Abstinenz sog sie derzeit jede menschliche Begegnung auf wie ein Schwamm. Sie öffnete die Tür und begrüßte die beiden Damen herzlich. Ihrer Erfahrung nach waren das sehr nette Leute und sie hatte Lust auf ein Schwätzchen. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“
Die beiden Damen schauten sich verdutzt an und schienen misstrauisch, ob so viel Freundlichkeit nicht eine Falle war. Dann nickten sie schüchtern und traten mit Paula in die Küche. Nachdem offensichtlich war, dass sie bei Paula mit ihrem eigentlichen Thema nicht landen konnten, entspannten sie sich langsam und begannen das Ganze offenbar als kleine Auszeit vom Klinkenputzen zu sehen.
Paula blätterte gedankenverloren in der Wachturm-Broschüre. „Und das alles machen Sie, obwohl Sie nicht einmal wissen, ob Sie einen der begrenzten Plätze im Himmel ergattern können?“
„Ich sehe, Sie kennen sich aus“, entgegnete die Jüngere. „Wichtig ist, dass man versucht hineinzukommen, meinen Sie nicht? Der liebe Gott wird dann schon dafür sorgen, dass es mindestens ein Stehplatz wird.“
Paula lachte. „Und ich, was wird mit mir, wenn ich als alte Heidin sterbe, die maximal einige buddhistische Postkarten auf dem Schreibtisch stehen hat?“
Beide schwiegen und wiegten bedenklich den Kopf.
„Nun, Sie haben aber wenig Vertrauen in Ihren Gott, wenn Sie nicht daran glauben, dass ihm auch für die anderen etwas Nettes einfällt. Ich mache mir da ehrlich gesagt nicht so viele Sorgen.“
„Sie sollten nicht so leichtfertig mit dem Namen Gottes umgehen“, sagte die ältere Dame und die Gräben um ihre Mundwinkel vertieften sich.
Paula erwiderte sanft: „Ich denke, er hat uns alle gemacht und auf diese Erde geworfen. Das haben wir uns ja nicht ausgesucht, nicht wahr? Also muss er auch schauen, was er mit uns danach macht, wenn die Sache nicht mit dem Tod zu Ende ist.“
Die Damen rückten wie verabredet ihre Stühle zurück. „Wir müssen dann mal weiter und bedanken uns recht herzlich für den guten Kaffee.“
Paula stand ebenfalls auf. „Schade, jetzt wo’s interessant wird, müssen Sie schon gehen? Kommen Sie doch bald mal wieder.“
Die beiden nickten eifrig. „Wir bringen dann Herrn Ziebel mit, der kann Ihre Fragen sicher noch besser beantworten.“
Paula grinste in sich hinein, als sie an die Familie dachte, die hier normalerweise wohnte. Dieses Haus war jetzt für immer eingetragen in die Liste der Zeugen Jehovas mit dem Vermerk „Kaffeepause“. Sie würden alle ihren Spaß miteinander haben. Sie drückte den Damen die Hand und verabschiedete sie mit einem „Gott segne sie“, worauf diese überstürzt das Weite suchten. Man muss den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen, das hatte sie im Umgang mit Chefärzten und solchen, die es werden wollten, gelernt.
Als die beiden weg waren, ging sie zurück zum Küchentisch. Statt sich aber direkt wieder ihrer Recherche zuzuwenden, stützte Paula den
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