Pauline Reage - Geschichte der O
Stephens mächtiges, aufgerichtetes Glied in ihrem Mund empfing, wie O, hingestreckt, selbst mit beiden Händen ihre Schenkel auseinanderhielt, um ihm ihre Lenden zu bieten, und sie empfand dabei nichts als Bewunderung, Ungeduld und Neid.
Vielleicht hatte O sich in Jacqueline getäuscht, als sie ihr eine Art gleichmütige Sinnlichkeit zuschrieb, vielleicht glaubte Jacqueline naiverweise, es könne ihr bei Rene schaden, wenn sie sich O hingebe, jedenfalls hörte sie plötzlich damit auf. Gleichzeitig schien es, als halte Rene, mit dem sie beinah alle ihre Nächte und alle ihre Tage zubrachte, auf Distanz. Nie benahm sie sich ihm gegenüber wie eine Verliebte. Sie sah ihn mit kalten Blicken an und wenn sie ihm zulächelte, so stieg das Lächeln nicht bis zu ihren Augen.
Selbst wenn sie sich bei Rene ebenso rückhaltlos ihrer Wollust hingab wie bei O, und das war wohl der Fall, so konnte O sich des Gedankens nicht erwehren, daß diese Hingabe nicht sehr tief ging. Während man Rene in ihrer Gegenwart vor Verlangen vergehen sah, gelähmt von einer Liebe, die ihm fremd gewesen war, einer ängstlichen Liebe, die stets fürchtete, einseitig zu sein, auf Ablehnung zu stoßen. Er lebte und schlief im gleichen Haus mit Sir Stephen, im gleichen Haus mit O, er frühstückte, aß mit Sir Stephen, mit O, ging mit ihnen aus, machte Spaziergänge, plauderte mit ihnen: er sah sie nicht, er hörte sie nicht.
Er sah, hörte, sprach durch sie hindurch, an ihnen vorbei, und in einem stummen und erschöpfenden Bemühen, so wie man sich im Traum abmüht, eine abfahrende Tram zu erreichen, sich an die Brüstung der einstürzenden Brücke zu klammern, versuchte er unablässig, den Daseinszweck, die Wahrheit Jacquelines zu ergründen, die irgendwo unter ihrer goldenen Haut existieren mußte, wie der Mechanismus unter dem Porzellan, der die Puppen schreien läßt.
»Da ist er also«, sagte sich O, »jetzt ist er da, der Tag, den ich so sehr gefürchtet habe, der Tag, an dem ich für Rene nur noch ein Schatten aus einem früheren Leben sein würde. Und ich bin nicht einmal traurig, und er tut mir nur leid, und ich kann ihn tagtäglich sehen, ohne Bitterkeit, ohne Bedauern, und es kränkt mich nicht, daß er mich nicht mehr begehrt. Dabei ist es erst ein paar Wochen her, daß ich zu ihm lief und ihn anflehte, mir zu sagen, ich liebe dich. War das meine ganze Liebe? So oberflächlich, so leicht zu trösten? Nicht einmal Trost brauche ich: Ich bin glücklich. Brauchte er denn, damit ich mich von ihm löste und in anderen Armen so leicht zu einer neuen Liebe finde, weiter nichts zu tun, als mich Sir Stephen zu geben?« Aber was war Rene denn neben Sir Stephen?
Stricke aus Heu, Seile aus Stroh, Kugeln aus Kork, das waren Symbole für die Bande, mit denen er sie an sich gefesselt hatte, sonst hätte er nicht so schnell aufgegeben.
Welche Beruhigung dagegen, welche Wonne der Eisenring, der das Fleisch durchbohrt und für immer lastet, das Brandmal, das nie mehr erlischt, die Hand eines Gebieters, die einen auf ein Felsenbett streckt, die Liebe eines Gebieters, der sich mitleidlos zu nehmen weiß, was er liebt. Und O sagte sich, daß sie letztlich Rene nur deshalb geliebt habe, um die Liebe zu lernen und sich um so besser als glückliche Sklavin Sir Stephen hingeben zu können. Aber wenn sie sah, wie Rene, der mit ihr so frei umgegangen war - und sie hatte ihn deswegen geliebt - jetzt wie mit bleiernen Füßen umherging, als wären seine Beine im Wasser und Schilfwerk eines scheinbar unbeweglichen Teiches gefangen, den unterirdische Strömungen durchziehen, empfand O wilden Haß auf Jacqueline.
Erriet Rene das, ließ O es unvorsichtigerweise durchblicken? Sie beging einen Fehler. Die beiden Mädchen waren eines Nachmittags allein nach Cannes zum Friseur gefahren und hatten danach auf der Terrasse von La R’serve Eis gegessen. Jacqueline, in schwarzen Seeräuberhosen und schwarzem Leinenpullover, war so glatt, so golden, so hart und so klar in der strahlenden Sonne, daß sie sogar die Kinder ausstach, und so nonchalant, so verschlossen.
Sie sagte O, daß sie mit dem Regisseur verabredet sei, mit dem sie in Paris gearbeitet hatte, da Außenaufnahmen gemacht werden sollten, wahrscheinlich in den Bergen hinter Saint-Paul-de-Vence. Der junge Mann war schon da, energisch und entschlossen. Er brauchte nicht zu sprechen. Daß er in Jacqueline verliebt war, merkte man auch so. Man brauchte ihn nur anzusehen. Das war nicht weiter überraschend. Weit
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