Pauline Reage - Geschichte der O
Sandalen.
Sobald sie nackt war, ging Norah hinaus und O, die automatisch in die Gepflogenheiten von Roissy verfiel und überzeugt war, daß Sir Stephen von ihr nur völligen Gehorsam erwartete, blieb inmitten des Raumes stehen und hielt den Blick so beharrlich gesenkt, daß sie mehr erriet als sah, wie Natalie, ganz in schwarz wie ihre Schwester, stumm und barfuß zur Fenstertür hereinglitt.
Zweifellos hatte Sir Stephen bereits von Natalie gesprochen; er begnügte sich damit, dem Besucher, der keine Fragen stellte, ihren Namen zu nennen und bat sie, die Gläser zu füllen. Sobald sie Whisky, Soda und Eis herumgereicht hatte (und in der Stille wirkte das Klirren der Eiswürfel gegen das Glas wie ein ohrenbetäubender Lärm) erhob der Kommandeur sich mit dem Glas in der Hand von dem Strohstuhl, auf dem er während Os Entkleidung gesessen war, und trat zu ihr. O glaubte, daß er mit der freien Hand ihre Brust oder ihren Schoß berühren werde.
Aber er rührte sie nicht an, betrachtete sie nur eingehend, von ihrem geöffneten Mund bis zu den offenen Knien. Er ging um sie herum, musterte ihre Brüste, ihre Schenkel, ihre Lenden, und diese schweigende Musterung, die Nähe dieses riesigen Körpers verwirrten O so sehr, daß sie nicht wußte, ob sie vor ihm fliehen wollte oder ob sie sich im Gegenteil wünschte, daß er sie zu Boden werfen und erdrücken würde.
Sie war so verwirrt, daß sie die Beherrschung verlor und die Augen hilfesuchend zu Sir Stephen erhob. Er begriff, lächelte, trat zu ihr, nahm ihre beiden Hände und hielt sie hinter ihrem Rücken in seiner Hand fest. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen an ihn und wie in einem Traum oder wie im Dämmer eines Erschöpfungszustandes hörte sie so wie sie einmal als Kind kurz nach dem Erwachen aus einer Narkose die Pflegerinnen, die sie noch bewußtlos glaubten, über sie hatte sprechen hören, über ihr Haar, ihre blasse Haut, ihren flachen Bauch, an dem eben der Flaum zu sprossen begann, - die Stimme des Fremden, der Sir Stephen zu ihr beglückwünschte und besonders auf die Vorzüge ein wenig schwerer Brüste und einer schmalen Taille hinwies, der Eisen, die dicker, schwerer und auffallender waren als üblich. Zugleich wurde ihr klar, daß Sir Stephen zweifellos versprochen hatte, sie in der kommenden Woche auszuleihen, weil man ihm dafür dankte. Worauf Sir Stephen sie im Nacken faßte, ihr sanft gebot, aufzuwachen und zusammen mit Natalie ihn oben in ihrem Zimmer zu erwarten.
Wie kam es, daß sie so sehr verwirrt war, und daß Natalie, trunken vor Freude bei dem Gedanken, jemand anders als Sir Stephen würde O öffnen, eine Art Indianertanz um sie herum aufführte? Sie schrie: »Glaubst du, daß er auch in deinen Mund will, O? Du hast nicht gesehen, wie er deinen Mund angestarrt hat. Ah! Du Glückliche, alle wollen dich haben. Er wird dich bestimmt auspeitschen: er hat mindestens dreimal die Striemen geprüft, an denen man sieht, daß du gepeitscht worden bist. Wenigstens wirst du dann nicht an Jacqueline denken«. »Aber ich denke doch nicht die ganze Zeit an Jacqueline«, erwiderte O, »du bist dumm«.
»Nein! Ich bin nicht dumm«, sagte die Kleine, »ich weiß genau, daß sie dir fehlt.« Das stimmte, aber nicht ganz.
Was O fehlte, war nicht eigentlich Jacqueline, sondern ganz einfach ein Mädchenkörper mit dem sie machen konnte, was sie wollte. Wäre Natalie ihr nicht verboten gewesen, sie hätte Natalie genommen und sie übertrat dieses Verbot nur deshalb nicht, weil sie sicher war, daß man ihr Natalie in wenigen Wochen in Roissy geben würde und daß Natalie zum ersten Mal vor ihr, und durch sie und dank ihrer ausgeliefert würde.
Sie brannte darauf, die Mauer aus Luft, aus Raum, aus Leere niederzureißen, die zwischen Natalie und ihr stand, und zugleich genoß sie die Erwartung, die ihr auferzwungen war. Sie sagte es Natalie, die den Kopf schüttelte und ihr nicht glaubte. »Wenn Jacqueline da wäre«, sagte sie, »und es sich gefallen ließe, würdest du sie liebkosen«. -»Natürlich«, sagte O und lachte. »Da siehst du … »fing das Kind wieder an.
Wie sollte man, wenn überhaupt, ihr erklären, daß O keineswegs so sehr in Jacqueline verliebt war, übrigens auch nicht in Natalie oder in irgend ein Mädchen im besonderen, sondern einfach in Mädchen ganz allgemein, verliebt wie man in sein eigenes Bild verliebt sein kann - nur daß sie die anderen immer weit bezaubernder und weit schöner fand, als sich selbst.
Die Lust, die es ihr
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