Pauline Reage - Geschichte der O
überraschender war Jacqueline. Sie lag in einem Schaukelstuhl, hörte ihm zu, wie er von den Daten sprach, die festgelegt, Verabredungen, die getroffen werden müßten und von der Schwierigkeit, genügend Geld aufzutreiben, um den begonnenen Film fertigzustellen.
Er duzte Jacqueline, die nur durch Nicken und Kopfschütteln antwortete und die Augen halb geschlossen hielt. O saß ihr gegenüber, der junge Mann zwischen ihnen. Sie konnte mühelos feststellen, daß Jacqueline hinter ihren gesenkten Lidern und im Schutz der unbeweglichen Wimpern das Verlangen des jungen Mannes belauerte, beobachtete, wie sie es immer tat und dabei glaubte, daß niemand es bemerke.
Aber das Seltsamste war ihre Verwirrung, ihre Hände hingen kraftlos herunter, ihr Gesicht war ernst ohne die Spur eines Lächelns, noch nie hatte O sie so vor Rene gesehen. Das Lächeln, das O für den Bruchteil einer Sekunde über die Lippen zucken sah, als sie sich vorbeugte, um ihr Glas mit Eiswasser abzustellen und ihre Blicke sich kreuzten, bewies, daß Jacqueline sich durchschaut wußte.
Sie nahm es gelassen hin, O dagegen errötete. »Ist dir zu heiß?« sagte Jacqueline. »Wir gehen in fünf Minuten. Im übrigen steht es dir sehr gut.« Dann lächelte sie wieder, und sah dabei mit so zärtlicher Hingabe ihren Tischnachbarn an, daß man glaubte, er müsse einfach aufspringen und sie küssen. Aber nein. Er war zu jung um zu wissen, wieviel Schamlosigkeit sich in Ruhe und Schweigen ausdrucken kann.
Er ließ Jacqueline aufstehen, ihm die Hand reichen und sich verabschieden. Sie würde ihn anrufen. Dann verabschiedete er sich von dem Schatten, der O für ihn war, und blieb auf dem Trottoir stehen, bis der schwarze Buick auf der Straße zwischen den sonnendurchglühten Häusern und dem viel zu blauen Meer davongeglitten war.
Die Palmen wirkten wie aus Blech gestanzt, die Spaziergänger wie halb geschmolzene Wachspuppen, die ein absurder Mechanismus in Bewegung hält.
»Gefällt er dir so gut?« sagte O zu Jacqueline, als der Wagen aus der Stadt fuhr und in die obere Corniche einbog. »Geht dich das etwas an?« erwiderte Jacqueline. »Es geht Rene an, erwiderte O. Was Rene sonst noch angeht und Sir Stephen, außerdem ein paar andere Männer, wenn ich recht verstanden habe, fuhr Jacqueline fort, ist die Tatsache, daß du nicht richtig dasitzt. Du wirst dein Kleid verknittern.« O rührte sich nicht.
»Und ich habe geglaubt, sagte Jacqueline weiter, daß du auch niemals die Beine überschlagen darfst?« Aber O hörte nicht mehr zu. Was bedeuteten ihr Jacquelines Drohungen? Bildete Jacqueline sich ein, ihre Drohung, dieses kleine Vergehen zu verraten, könnte O daran in ein, sie bei Rene anzuschwärzen? Nicht daß O keine Lust dazu gehabt hätte. Doch Rene würde den Gedanke nicht ertragen, daß Jacqueline ihn belog und daß sie frei über sie selbst verfügen wollte.
Wie konnte sie Jacqueline beibringen, daß sie nur deshalb schweigen würde, damit sie nicht sehen müßte, wie Rene das Gesicht verlor, erbleichte um einer anderen willen, und vielleicht schwach genug war, sie nicht zu bestrafen? Und auch und vor allem, weil sie fürchtete, daß Renes Zorn sich gegen sie selbst richten könne, die Unglücksbotin, die Verräterin.
Wie konnte sie Jacqueline sagen daß sie schweigen werde, ohne daß es nach einem Handel aussehe würde, gibst du mir, so geb’ ich dir? Denn Jacqueline glaubte, O habe schreckliche Angst, eine Angst, die sie zu Eis erstarren ließ, vor dem was ihr widerfahren würde, wenn Jacqueline sprechen sollte.
Als sie im Hof des alten Hauses aus dem Wagen stiegen, hatten sie noch immer kein Wort miteinander gesprochen. Jacqueline pflückte, ohne O anzusehen, einen weißen Geranienstengel von der Rabatte vor dem Haus. O ging so dicht hinter ihr, daß sie den zarten und kräftigen Duft des Blattes roch, das Jacqueline zwischen den Händen zerrieb.
Glaubte sie, damit den Geruch ihres eigenen Schweißes verdecken zu können, der das Gewebe ihres Pullovers unter den Achseln kleben und noch schwärzer erscheinen ließ? In der großen rot gefliesten und weißgekalkten Halle war Rene allein. »Ihr kommt spät, sagte er, als sie eintraten. Sir Stephen erwartet dich nebenan, fuhr er zu O gewandt fort er braucht dich, er ist sehr ärgerlich.«
Jacqueline lachte laut und O schaute sie an und errötete. »Ihr hättet euch eine andere Zeit aussuchen können, sagte Rene, der Jacquelines Lachen und Os Verwirrung falsch auslegte. »Nein, nicht das,
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