Pauschaltourist
meine Körperoberfläche,
und unter der Oberfläche flutete mein Blut den Begattungsfortsatz.
Medsger drehte sich zu mir, hob mit einer Hand ihr Kleid an, dann ging sie leicht in die Knie und zog mit der anderen die
Idee eines Slips beiseite, dass ich sehen sollte. Plötzlich hielt sie ein Kondom |16| in der Hand – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn das Kleid verfügte über keine Verstecke –, riss die Verpackung mit
den Zähnen auf und grinste dabei auf so seltsame Art, dass mir schlagartig kalt wurde. Großer Gott, was tat ich hier, was
war ich im Begriff zu tun? Sex mit einer Frau, die
nichts
von mir wollte, mit einer Nymphomanin, die sich vermutlich hochgefickt hatte, für die es nur um den kurzen Kick ging, ohne
jede Bedeutung. Ich riskierte gerade alles, angefangen bei meinem Job (und meiner Gesundheit, denn Sitz war ein Choleriker)
und längst nicht endend bei der rissigen Beziehung mit Silke, die mir in diesem Augenblick so wichtig schien wie nichts sonst
auf der Welt. Nach deren behaglicher Armut an Höhepunkten ich mich jetzt regelrecht sehnte.
Ich schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, sagte ich und machte einen Schritt rückwärts, gegen die Badtür.
Sie zwinkerte. »Was?«
»Ich kann das nicht. Ich will das nicht.« Es fiel mir nicht gerade leicht, den Teil meines Selbst, der energisch Einspruch
erhob, zurückzudrängen.
Sie zuckte mit den Schultern. »Okay«, sagte sie, und dann waren die Vorbereitungen ebenso schnell wieder rückgängig gemacht.
Sekunden später war sie aus dem Bad verschwunden, während ich ihr Aroma atmete und nicht wusste, ob ich ein Held oder Vollidiot
war. Oder beides. Eine Straftat gilt mit dem Beginn ihrer Ausführung als begangen, selbst wenn die eigentliche Straftat noch
nicht stattgefunden hat. Daran musste ich denken, ein Erinnerungsfetzen aus der Zeit, die ich als Praktikant in Amtsgerichten
verbracht hatte. Schuldig im Sinne der Anklage.
Ich blieb noch minutenlang an die Tür gelehnt stehen, kämpfte mit dem Gefühl, etwas berührt zu haben, das nicht für mich bestimmt
war, und dem, einen gedanklichen Treuebruch begangen zu haben, den ich vielleicht würde verheimlichen, aber niemals würde
verarbeiten können. Ich dachte an Silke und schluckte schwer.
Es schmeckte nach abgestandenem Champagner.
|19| 1.
Heino Sitz schob den Papierstapel von sich, als wäre das Zeug ansteckend.
»Wollen Sie meine ehrliche Meinung?«, fragte er mit diesem Unterton, der die Antwort bereits einschloss. Er hätte auch fragen
können, ob wir lieber auf Glasscherben sitzen wollten statt auf den auch nicht wirklich bequemen, aber unglaublich teuren
Aluminium-Designersitzmöbeln, die den Mahagoni-Konferenztisch umgaben.
Die Frage war an Nina Blume, Ressort Weltreisen, gerichtet. Meine proletentoastergeschädigte Kollegin rutschte unbehaglich
auf dem Stuhl hin und her. Sie hatte Angst vorm Fliegen und lief zumeist in wurstpelleähnlichen Hosen herum. Auf dem immer
sichtbaren unteren Rückenansatz trug sie das Wort »Edel« als Tattoo. Sie deutete jetzt eine Mischung aus Nicken und Kopfschütteln
an. Nina wusste, was gleich kommen würde. Wir alle wussten es.
»Bullshit. Erbärmlicher, langweiliger Bullshit. Wenn Sie mich nerven wollten, ist es Ihnen gelungen. Danke.« Sitz lehnte sich
zurück, schnappte sich noch in der Bewegung seinen Kaffeepott mit dem Logo der Zeitschrift vom Tisch, und dann ließ er das
Geräusch hören, das er immer von sich gab, wenn er enttäuscht oder verärgert war. Er blies die Luft zwischen seinen Zähnen
hindurch, ein unangenehmes Pfeifen, verstärkt durch die schmale Lücke, die geblieben war, als er sich die Schneidezähne billig,
aber leider nicht günstig im Ausland hatte renovieren lassen. Heino Sitz war großzügig, was die Außendarstellung anbetraf,
doch ansonsten eher ein Geizhals.
Nina hatte vorgeschlagen, den noch immer lebhaften Abenteuertourismus in Form von Leser-Erlebnisberichten zu thematisieren. |20| Als sie mit dieser Idee zu mir gekommen war, was mich überrascht hatte, denn die Lifestyle-Journalisten betrachteten mich
sonst kaum als ihnen ebenbürtig, hatte ich ihr bereits erklärt, dass sich das bestenfalls als Lückenfüller eignete und auf
keinen Fall als Aufmacher oder neue Serie.
»Die Leute ziehen sich solche Berichte aus dem Netz«, sagte Ralf Leitmann, verantwortlich für Hoteltests im Inland. Party-Ralf,
der sein Spesenkonto ständig überzog und wegen
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