Pauschaltourist
Augenbrauen hoch und sah prüfend in die Runde.
»Pauschaltourismus?«, wagte Party-Ralf zu fragen. »Stoßen wir damit nicht unsere Stammleser vor den Kopf?«
»Soller?«, befahl Sitz mehr, als er fragte.
Der Angesprochene, Friedhelm Soller, ein glatzköpfiger Endvierziger mit riesigem Schnurrbart, zuständig für PR und Marketing,
räusperte sich. »Unsere Leserzahlen sinken seit Jahren, das wissen Sie alle. Im Segment der Besserverdienenden und Akademiker
stagniert die Zahl auf niedrigem Niveau. Nach den letzten Befragungen lesen viele Menschen unser Magazin in den Wartezimmern
von Arztpraxen. Der Anteil der sozial und wirtschaftlich durchschnittlich und schlechter gestellten Leser ist allerdings erheblich,
sogar die Mehrheit. Siebenundfünfzig Prozent. Diese Leute betrachten unser Produkt als eine Art Traumwelt, in die sie eintauchen
können. Diese Gruppe stellt sogar mehr als zwei Drittel unserer Abonnenten dar.«
»Es würde also nicht schaden, diesen Leuten auch mal ein paar handfeste Informationen zu liefern«, erklärte Heino Sitz. Friedhelm
Soller nickte abwesend, wie es seine Art war.
»Und für die reicheren könnte es unterhaltsam sein«, sagte ich. |23| »Es käme darauf an, wie man es aufmacht.« Dabei wurde ich rot, wie ich spürte. Ich überschritt hier deutlich meine Kompetenzen.
Eigentlich war ich bei Redaktionskonferenzen ein geduldetes Anhängsel. Meine Beiträge umfassten normalerweise ein paar Worte
zu Leserreaktionen und das, was zu den Gewinnspiel-Sponsoren zu sagen war.
Mein Chefredakteur nickte und lächelte mich dabei an. Das hatte er zuletzt getan, als ich ein Preisrätsel ohne sinnvolle Lösung
ins Heft genommen hatte. Die vermeintliche Kniffligkeit der unlösbaren Aufgabe, bei der es immerhin eine Luxus-Kreuzfahrt
zu gewinnen gab, hatte uns eine deutlich erhöhte Nachfrage beschert. Allerdings auch erheblichen Protest der Leser. Später.
Da hatte Sitz nicht mehr gelächelt. Sondern lang anhaltend durch die Schneidezähne gepfiffen.
»Frischer Wind«, sagte er und sah mich dabei immer noch an. Ich erriet, was er in diesem Moment dachte. Ein Seitenblick auf
Nina Blume bestätigte meine Vermutung, die sie offenbar teilte. Die Ressortchefin Weltreisen grinste schadenfroh in meine
Richtung. »Wir sollten jemanden losschicken, der noch nicht von all den Luxusherbergen und First-Class-Angeboten verblendet
ist.« Er pausierte kurz und ließ den Blick über die Anwesenden wandern, dann grinste er wieder, fast ein bisschen fies. »Ein
Pärchen wäre natürlich ideal. Da käme schneller Kontakt mit anderen Urlaubsgästen zustande. Das Ganze sollte möglichst authentisch
sein. Deshalb dürften sich unsere Mitarbeiter auch nicht zu erkennen geben.« Jetzt fixierte er Nina Blume, deren Gesichtsausdruck
sich augenblicklich veränderte. Ralf Leitmann kicherte. Der Chef kam auf mich zurück. »Ihren Job kann für ein paar Monate
doch ein Volontär übernehmen.« Danach wandte er sich wieder Nina Blume zu. »Und Ihnen kann es nicht schaden, auch mal ein
bisschen was von der Welt zu sehen.«
Bimbo jaulte leise unter dem Tisch, als hätte er verstanden, worum es ging.
|24| 2.
Steini verschluckte sich fast an seinem Bier.
»Du sollst
was
?«
Ich nickte nur.
Er lachte. »Mit dieser Proletenwurst in der Präser-Hose? Die du mir mal auf der Weihnachtsfeier gezeigt hast? Fräulein Edeltätowierung?
Misses Bimbo-Pudel?«
Ich nickte weiter. Die Konferenz lag jetzt drei Stunden zurück, ich hatte zwei Biere intus, und mit jeder weiteren verstreichenden
Minute fühlte ich mich beschissener, was normalerweise umgekehrt war, wenn ich in unserer Stammkneipe saß und mit Steini einen
hob. »Gehen Sie vorurteilsfrei an diese Sache«, hatte Sitz abschließend mehr be- als empfohlen.
Vorurteilsfrei!
Heiliger Hühnerhabicht. Meine letzte und bisher einzige Pauschalreise lag acht Jahre zurück und war eine Katastrophe gewesen.
Aber immerhin hatte sie nicht in Begleitung von Frau Blume und ihrem blöden Pudel stattgefunden. Von dem ich annahm, dass
er unvermeidbar dabei sein würde.
»Und wie lange?«, fragte Steini und machte gleichzeitig in Richtung Tresen Zeichen, dass wir Nachschub benötigten.
»Sechs Wochen, erst mal. Nordafrika, Balearen, Kanaren, Ägypten, Portugal und ähnliche Ziele. Drei Sterne, all inclusive,
familienfreundlich, preiswert. Und auch noch Last Minute. Wir fliegen übermorgen los, nach Gran Canaria. Danach geht’s nach
Marokko.«
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