Payback
ausschlagen. »Flaming«, Cyber-Mobbing und permanente Gruppenaggressionen sind laut David Goleman so alt wie das Arpanet, der Vorgänger des Internets. 158
Was aber wird geschehen, wenn die handelnde Politik den Raum des Netzes als neue Bühne erobert? Im Augenblick sind es in Deutschland gerade die traditionellsten Debattenforen - einfache Blogs, die auf die Kraft von Argument und Quelle bauen -, die neue Öffentlichkeiten schaffen. Darunter sind staunenswerte Erfolge. Wie zum Beispiel die »Nachdenkseiten« des einundsiebzigjährigen Albrecht Müller, die er zusammen mit Wolfgang Lieb betreibt. Allerdings ist die Frage, ob solche im besten Sinne alteuropäischen Diskurse im Augenblick nur deshalb so wirkungsvoll sind, weil die Politik die Einfluss- und Manipulationsmöglichkeit digitaler Kommunikation noch nicht verstanden hat. Künftig würden nicht mehr die Medien die Wirklichkeit mal besser, mal schlechter abbilden, sondern informelle Trends, deren Glaubwürdigkeit niemand nachprüfen könnte. Es wäre für die Politik ein Leichtes, mithilfe von Informationskaskaden ein völlig verändertes Bild der Wirklichkeit zu schaffen.
Was, wenn Kaskaden, wie sie erst seit der Erfindung des Netzes möglich sind, aus Gedanken und Gefühlen bestehen? Man darf nicht übersehen: Sie werden durch das Prinzip der algorithmischen Vernetzung durch Software so verstärkt, dass sie buchstäblich durch die Decke schießen können. Vorstufen davon kennt man. Ob gekaufte Blogeinträge und ähnlicher, oft robotererzeugter Spam. Das ist aber immer noch nichts im Vergleich zu dem, was die Zukunft bringen wird. Noch ist nicht jedermann bewusst, dass wir im Internet die gleiche Sprache wie die Maschinen sprechen. »Bot Mobs«, Informationskaskaden, die von Robotern, intelligenten Agenten ausgelöst werden, machen es unmöglich zu unterscheiden, ob Menschen ein Thema ernst nehmen oder Roboter. Bots werden durch menschliches Kommunikationsverhalten nicht nur »geweckt«, sie lernen auch systematisch und immer besser dazu. »Alles, was wir über menschliches Verhalten und menschliche Kommunikation wissen, muss im Lichte der Bots umdefiniert werden«, schrieben Studenten der Universität Kansas, die im Netz groß geworden sind und die zunehmend anonymen Kommunikationserfahrungen ausgesetzt waren, bei denen sie nicht wussten, ob sie auf Menschen oder Maschinen reagierten. 159 Im Augenblick reagieren die Bots, eine Unterabteilung der »intelligenten Agenten«, vor allem auf Kauf- und Kommerzreize, die durch Schlüsselworte ausgelöst werden. Aber sie sind gerade dabei, die Grammatik unserer Gefühlswelten zu lernen.
Da im Internet nicht nur Waren ausgetauscht werden, sondern auch Gedanken und Gefühle, werden wir immer häufiger Gedanken-Moden und Gefühls-Trends erleben. Zu ihnen gehört auch die Facebook-Erfahrung von Karen. Wenn ich Freunden erzählte, dass eine amerikanische Schriftstellerin verkündet, nichts mehr zu suchen, worauf sie keine Antwort im Netz findet, war das mitleidige Befremden groß. Dabei ist es nur folgerichtig in einer Welt, in der nicht existiert, was nicht digital existiert.
ZUFÄLLE, DIE KEINE SIND
ie glühendsten Liebesbriefe, die uns unsere Computer schreiben, sind Statistiken. Damit gewinnen sie unser Herz. Wie oft wurde ich geklickt? Wer zitiert mich? Wie viele Freunde habe ich auf Facebook? Welches sind die angesagtesten Themen? Manchmal sind Torten dabei oder Gebilde, die wie Blumensträuße aussehen, wie Wolken oder antike Säulen. Aber das sind nur die Diagramme. Darunter stampft der Maschinencode der Software. Nicht nur die Suchmaschinen, die intelligenten Agenten, die Ebay- und sonstigen Plattformen leben von den Statistiken, auch die Welt der Blogs und Facebooks. »Meistgelesen« oder »Meistverschickt« sind ebenso selbstverständlich wie die Wortwolken, in denen die beliebtesten Begriffe kondensieren, die Freundschaftsstatistiken in den sozialen Netzwerken, die Webprotokolle von Google, in denen man sein eigenes Suchverhalten ablesen kann. Wenn man wirklich verstehen will, wie die digitale Welt unser Gefühl von uns selbst verändert, dann ist es dieser Sieg der Statistik: Wir wollen herausfinden, wer wir sind, indem wir herausfinden, was alle tun.
Je häufiger ich im Internet surfe, so die unbewusste Annahme, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ich etwas verpasse; je häufiger ich meine E-Mails abrufe, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ich die E-Mail verpasse, die mein Leben
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