Payback
Schicksal in der Ära der Datenbanken. Es wäre sogar möglich, die Wirkungen zu simulieren, die die Intervention von Karen gehabt hätte - vorausgesetzt, man hat genügend Daten von Mutter, Tochter und ihren Freunden. Aber das hieße immer noch nicht, dass man versteht, was sich abspielt. Es ist wie bei den Krankheits-Statistiken.
Kein Mensch, auch kein Physiker, kann sich »bedingte Wahrscheinlichkeiten zweiten Grades« wirklich vorstellen. Sie sind, unmathematisch gesprochen, sehr nahe an dem dran, was wir Schicksal nennen. Begreift man das, kehrt jene Unsicherheit in unser Leben zurück, die uns wieder zu produktiven, handelnden Menschen macht, die ihr Schicksal nicht in die Hände des großen Rechners geben. Dazu ist es nötig, dass man erst einmal begreift, dass wir Fehler machen, über die uns ein Computerprogramm nicht aufklären kann. Können wir Fehler noch erkennen? Oder anders ausgedrückt: Können wir noch die andere Perspektive einnehmen, obwohl wir das Verständnis für die Fehler verloren haben?
»Perspektivwechsel« - menschenorientierte Heuristiken - sind mehr als nur eine nette Anregung, die Dinge auch mal anders zu sehen. Wenn die Menschen sich erst einmal daran gewöhnt haben, ihr Leben aus der verarbeiteten Datenmenge zu beurteilen und nicht mehr aus anderen Wahrscheinlichkeiten - wo wird die Vorstellungskraft herkommen, das Leben nach
anderen
Regeln zu beurteilen als denen, die die Rechner uns präsentieren? Das betrifft nicht nur die Menschenoptimierungssoftware, die, wie wir gesehen haben, bereits heute Kreativität, Intelligenz und künftigen Lebenslauf errechnet. Es beginnt bereits bei Facebook und Myspace, die einst als Spiel anfingen und nun in den Augen vieler mehr über einen Menschen aussagen, als der Mensch selbst - so sehr, dass sie einen ganzen Karriereweg ruinieren können. Es betrifft Schüler und Studenten, deren Leistungen computergestützt bewertet werden oder deren Lerninhalte computerverträglich sein müssen. Es betrifft die Babys, deren ganzes Leben in einer für uns heute noch nicht durchschaubaren Weise im Netzwerk beginnt und im Netzwerk endet, es betrifft Meinungsbildungsprozesse, Moden, Trends.
Auch Journalisten müssen im Netz längst nach algorithmischen Regeln schreiben, die das Denken dem Computer unterwerfen. Texte müssen nach Pyramidenstrukturen verfasst werden, in denen das Neue nach oben gehört, der Hintergrund nach unten; Schlüsselbegriffe werden vorgeschrieben und Wortlisten angelegt, und dies alles nur, damit Google die Texte findet. Je besser die Google-Codes werden, desto präziser die Werbung, die sie mit den Gedanken verbinden können - ein einziger Metatext, der etwas völlig anderes geworden ist als das, was wir bisher kennen.
»Wir scannen die Bücher, damit der Computer sie liest, nicht damit Menschen sie lesen.« Der Satz betrifft mittlerweile auch das Schreiben. Und es ist offensichtlich, dass dies bei Schreibenden wie bei Lesenden ein Denken produziert, das die Verflechtung von Informationen und Gedanken auflöst und Information in den Dienst der Verwertbarkeit stellt. Die nächste Stufe ist die dadurch immer geringer werdende Aufmerksamkeitsspanne von Leser und Schreiber. Es ist ein Teufelskreis, in dem das immer unwirtschaftlicher wird, was mehr Aufmerksamkeit erfordert. Am Ende können wir es uns buchstäblich nicht mehr leisten, ein Buch zu lesen.Wer ist hier der Handelnde? Wir oder der Computer?
Wir sind uns unserer inneren Freiheit zu sicher, weil wir immer noch glauben, die große Überwältigung käme von außen und nicht, wie sie es in der Huxley-Version tun wird, von innen. Der Computer auf unserem Schreibtisch ist kein Einstein und das Handy ist kein Newton. Die Intelligenz der Computer bezwingt uns nicht, weil sie so groß ist, sondern weil sie so verbreitet ist. Die alten Kulturen wurden von der Intelligenz der Natur umgeben, die ihnen Bilder und Maßstäbe lieferte. Unsere Urgroßeltern wurden von der simplen Intelligenz der Motoren und Maschinen geprägt, die zu einem Selbstverständnis vom Menschen als Verbrennungs- und Leistungsmaschine führte.
Wir werden von der Intelligenz der Rechner geprägt, der wir auf Schritt und Tritt begegnen. »Sie wird nicht sofort als Intelligenz erkannt werden«, schreibt Kevin Kelly, dessen bereits 1991 erschienenes Buch »Out of Control« die Debatte über die Zukunft der digitalen Welten wie kein anderes geprägt hat und zur Grundlage des Kinofilms »Matrix« wurde, »ihre Allgegenwart
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