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Payback

Titel: Payback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Universität ihre Zukunft beschrieben. Innerhalb kürzester Zeit war »Eine Vision der Studenten von heute« mit über 8 Millionen Downloads eines der populärsten im Netz und löste eine Informationskaskade in Universitäten auf der ganzen Welt aus. 161 Dabei war das, was der Film zeigte, dramaturgisch und ästhetisch ziemlich unspektakulär: Studenten sitzen in einem Vorlesungssaal und halten nach und nach Schrifttafeln hoch, auf denen sie Aussagen über ihr Leben machen.
    Der Regisseur des knapp fünfminütigen Videos war der Anthropologe Michael Wesch und dadurch wurde der Film nicht nur ein Film sondern eine Expedition. Wesch blickte auf eine Population junger Menschen mit dem Blick des Forschungsreisenden, der einer fremden Kultur begegnet. Die fremde Kultur bei dieser Expedition sind keine fremden Stämme, sondern die »digitalen Eingeborenen« des Jahres 2007, Menschen, die keine Welt ohne Computer, Handy und Internet kennen. Im Durchschnitt sind die Studenten in Weschs Video 17 Jahre alt. Das bedeutete, sie waren vier Jahre alt, als das World Wide Web, wie wir es kennen, entstand, und sieben, als Google zum ersten Mal online ging. Der Zuschauer des Films wird in einen zunächst schwarz-weißen leeren Hörsaal geleitet, mit seinem heruntergekommenen Mobiliar, seiner Kreidetafel, seinen verwitterten Graffiti. Es könnte heute sein oder vor 40 Jahren. Dann wechselt die Farbe, und man sieht die Studenten von heute, die ihre Botschaften in die Kamera halten:
In meinem Seminar sind 115 Leute.
Ich beende 49 Prozent der Bücher, die ich lesen muss.
Ich kaufe für 100 Dollar Seminarbücher, die ich niemals aufschlage.
Ich werde dieses Jahr acht Bücher lesen, 2300 Webseiten und 1281 Facebook-Profile.
Ich bin 3 1 / 2 Stunden pro Tag online.
Ich verbringe 2 Stunden am Tag an meinem Handy.
Ich werde dieses Semester 42 Seiten Seminararbeiten schreiben und über 500 Seiten E-Mails.
Dieser Laptop kostet mehr, als manche Menschen im ganzen Jahr verdienen.
Ich facebooke durch die meisten meiner Vorlesungen.
Nach meinem Examen werde ich wahrscheinlich einen Job bekommen, den es heute noch gar nicht gibt.
Das bringt mir nichts (Student zeigt Multiple-Choice-Test).
Ich bin ein Multitasker (Ich bin dazu gezwungen).
    Dann endet der Film mit einer letzten Botschaft: »Manche sagen, die Technologie rettet uns. Manche sagen,
nur
die Technologie rettet uns«.
    Weschs Video war keine Kulturkritik eines frustrierten Lehrers mit ebenso frustrierten Studenten. Es war deshalb so wirkungsvoll, weil es den fast verzweifelten Konflikt zwischen zwei Formen von kommunikativer Arbeit zeigte. Seine Studenten leiden unter der verstaubten Art der Lehre. Sie leiden aber auch erkennbar unter den modernen Kommunikationsformeln, die von ihnen wie Zwangshandlungen Besitz zu ergreifen schienen.Wesch hatte zuvor mehrere Jahre als Anthropologe in Guinea die Auswirkungen der Alphabetisierung in einer schriftlosen Kultur untersucht und wendete nun den Blick, den er damals eingeübt hatte, auf die digitalen Eingeborenen des einundzwanzigsten Jahrhunderts an. Seine Erfolge zeigen, dass der Sinn für nichtalgorithmisches Denken, für Heuristiken, für Denkprozesse tatsächlich gelehrt werden kann. Aber um das zu erreichen, muss man zunächst einmal die Aufmerksamkeit erzeugen, die die notwendige Voraussetzung dafür wäre, dass sich Schüler und Studenten überhaupt auf das faszinierende Spiel mit Perspektivwechseln einlassen?
    Die Antwort liegt im Jagdtrieb nach Informationen. Wesch benutzt die Computer zu dem, worin sie sehr gut sind: als Jagdgebiete für fette Informationsbeute. Der einzige Unterschied besteht darin, dass nun nicht mehr Google allein die Korrelationen herstellt, sondern die beteiligten Studenten ihr eigenes und das Jagdverhalten und die Beute ihrer Kommilitonen beobachten müssen.
    Das ist ein »Smart Mob«, ein kognitives Computermensch-spiel, in dem Studenten erleben, dass der letzte Schritt der Kommunikation, die Urteilsfindung, im eigenen Kopf, also außerhalb des Computers stattfindet. Wie schafft man es beispielsweise, dass jeder einzelne Student vor Semesterbeginn 94 Aufsätze gefunden und gelesen hat? Wesch beauftragte jeden Studenten, 5 Artikel zu lesen und schriftlich zusammenzufassen. Die Zusammenfassung wurde auf einer gemeinsamen Website veröffentlicht, die sie sofort allen anderen Studenten zugänglich machte. Alle Resümees mussten 36 Stunden vor Semesterbeginn online sein. Das gab den Studenten die Möglichkeit, alle

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