Peacemaker
sie gegeben hatten. Einige von ihnen waren machtlos, andere redeten einfach nur Mist.
Ein Botschaftsvertreter aus den Niederlanden stellte sich ihm vor. Gideon erinnerte sich, dass der Mann früher Außenminister seines Landes gewesen war, ehe man ihn wegen seiner andauernden Beziehung zu einem Callgirl mit einem Botschafterposten kaltgestellt hatte. »Sie sind ein Visionär«, sagte der Botschaftsvertreter und umklammerte Gideons Bizeps mit seiner kleinen Hand.
Gideon rang sich ein Lächeln ab. »Ich weiß dieses Kompliment zu schätzen, aber ich habe nur getan, womit mich der Präsident beauftragt hat.«
»Ihre Bescheidenheit in Ehren«, erwiderte der Mann, »aber Sie tun sich selbst unrecht, wenn …«
»Mr Davis? Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche …«
Gideon drehte sich um. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden – die allesamt im Smoking oder im Abendkleid erschienen waren – trug der Mann, der ihn angesprochen hatte, eine steife Militär-Uniform. Blau mit weißem Gürtel. Sein Haar war an den Seiten bis weit nach oben kurz geschoren, wie man es außerhalb des United States Marine Corps nur selten zu Gesicht bekam.
»Der Präsident wünscht, Sie zu sehen.«
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Gideon zu dem Botschaftsvertreter. Er war dankbar, einen Grund zu haben, um ihre Unterhaltung zu beenden, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte.
Der Botschaftsvertreter starrte den Marinesoldaten wütend an, als dieser für Gideon die Menge teilte. Offenbar war er es nicht gewöhnt, von einem einfachen Soldaten unterbrochen zu werden.
Der Marinesoldat führte Gideon zu einer Tür. Zu beiden Seiten war jeweils ein Geheimagent postiert. Einer von ihnen öffnete Gideon die Tür, der daraufhin einen großen Konferenzraum betrat, in dem sich Präsident Diggs leise mit einem unscheinbaren, aber freundlich wirkenden Mann in den Sechzigern unterhielt, der einen von Sorge gezeichneten Gesichtsausdruck und Hängebacken wie ein Bluthund hatte. Es handelte sich um Earl Parker, Gideons Freund und Mentor, der ihm so nahe stand wie ein Vater.
»Onkel Earl …«
»Du warst gut da drin«, sagte Parker. »Wirklich inspirierend.«
»Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.«
»Ich stand ganz hinten«, entgegnete Parker lächelnd. »Ich bin stolz auf dich, mein Sohn.«
Gideon erwiderte Parkers Lächeln und wunderte sich, wie begierig er noch immer nach dem Lob des älteren Mannes war.
Er kannte Earl Parker fast schon sein ganzes Leben lang. Parker war nicht sein wirklicher Onkel; er war ein Freund seines Vaters gewesen, und nachdem Gideons Eltern zwanzig Jahre zuvor gestorben waren, war Earl Parker eingesprungen und zu einer Art Ersatzvater für ihn und für seinen älteren Bruder Tillman geworden. Nach dem Tod ihrer Eltern waren sie zu Pflegeeltern gekommen, doch Parker hatte sie jedes oder jedes zweite Wochenende besucht, hatte im Garten mit ihnen Football gespielt, hatte sich erkundigt, wie es ihnen in der Schule erging, und hatte sich ihnen gegenüber verhalten, als seien sie blutsverwandt. Nachdem sie sich lange über die stetige Aufmerksamkeit gewundert hatten, die er ihnen zuteilwerden ließ, fragten sie ihn schließlich, warum er so viel Zeit mit ihnen verbringe. Er erklärte ihnen, er habe zusammen mit ihrem Vater bei den Marines gedient und stehe so tief in dessen Schuld, dass er sich nicht einmal annähernd damit revanchieren könne, dass er sich um seine Söhne kümmere.
Abgesehen von der Tatsache, dass Onkel Earl niemals geheiratet hatte, wussten die Jungen herzlich wenig über dessen Privatleben. Das hielt Gideon allerdings nicht davon ab, anhand bestimmter Beobachtungen, die er gemacht hatte, eine grobe Biografie zu erstellen. Anhand von Details wie Parkers Zähnen, die ziemlich schlecht waren, was auf ein Elternhaus schließen ließ, in dem ein Zahnarztbesuch als völlige Verschwendung galt. Sein Dialekt klang, als habe er Murmeln verschluckt – ein Phänomen, dem man nur in den höchsten, unwirtlichsten Gegenden im bergigen Osten von Tennessee begegnete.
Doch auch öffentlich verfügbare Behördendaten hatten einige kostbare Fakten beigesteuert, und so hatte Gideon erfahren, dass sich hinter dem bescheidenen Äußeren ein außergewöhnlicher Mann verbarg. Parker war der erste und einzige Rhodes-Stipendiat der East Tennessee State University gewesen. Nach seinem Aufenthalt in Oxford hatte er sich bei der Armee verpflichtet und acht Jahre lang im Marine Corps gedient, ehe er eine Reihe
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