Pechstraehne
sehnlicheren Wunsch, das Leben endgültig zu beenden; aber versuchen Sie das mal mit so wenig Kraft in den Armen und Händen wie ich. Also habe ich mich in mein Schicksal gefügt und mir mein Leben als Dauerpflegefall so gut es ging eingerichtet. Aber nun merke ich, dass mir so langsam auch die letzte Kraft aus meinem geschundenen Körper entweicht.«
»Können wir irgendetwas für Sie tun, Frau Gieger?«
Die Frau schloss die Augen.
»Das könnten Sie, gewiss, aber diesen letzten Dienst darf ein Polizist noch viel weniger ausführen als ein normaler Mensch. Also gibt es nichts.«
Nun musste Lenz tief durchatmen.
»Dann hätte ich zum Schluss noch eine letzte Frage. Wissen Sie den Namen des Mannes, von dem Sie glauben, dass er Rudolph Gieger zum Schein entführt hat? Und können Sie sich an ihn erinnern?«
»Das kann ich, weil ich nahezu jeden Tag über die Ereignisse von damals nachdenke. In meiner Situation lebt man nicht mehr in der Gegenwart, zumindest ist es bei mir nicht mehr so. Mein Leben spielt sich seit dieser unglücklichen Entscheidung damals nur noch in der Vergangenheit ab.«
Ihr ausgemergelter, schwacher Körper wurde von einem Hustenreiz geschüttelt. Als sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte, drehte sie ein letztes Mal den Kopf in Richtung des Polizisten.
»Der Mann, von dem wir die ganze Zeit sprechen, heißt Eisenberg. Manfred Eisenberg.«
31
Norman Wachter hob den Kopf und betrachtete durch seine dunkle Sonnenbrille das Treiben um ihn herum. Die gesamte Liegewiese des Schwimmbads in Wilhelmshöhe war voll mit vergnügt herumtobenden Kindern, lässig ohne Bikinioberteil daliegenden Frauen und ein paar vereinzelten Männern, die vermutlich entweder in Schicht arbeiteten oder deren Sommerurlaub schon begonnen hatte. Im Schwimmbecken sah es aus wie in einem Insektenhaufen, und schon auf dem Weg dorthin lief man Gefahr, von wild umherspringenden Kindern über den Haufen gerannt zu werden. Der ehemalige Elitesoldat lenkte seinen Blick auf den Eingang, wo etwa 20 Minuten zuvor zwei uniformierte Polizisten aufgetaucht waren und ein Bild herumgezeigt hatten. Nach kurzer Rücksprache mit der Kassiererin hatten sie sich jedoch entfernt und waren wieder in ihren Einsatzwagen gestiegen. Dort konnte Wachter sie nun mit geöffneten Scheiben sitzen und schwitzen sehen.
Kaum zu glauben, dass hessische Bullen mit einem japanischen Kombi unterwegs sind , dachte er mit geschlossenen Augen in Erinnerung an die Szene eine knappe Stunde zuvor. In dem Moment, in dem er die beiden Polizisten niedergeschlagen und die Straße verlassen hatte, war ihm klar gewesen, dass er höchstens vier, maximal fünf Minuten Vorsprung haben würde. Dann hätte jeder Polizist in der näheren und weiteren Umgebung seine Beschreibung übermittelt bekommen und würde mit Hochdruck nach ihm suchen. Noch im Fahren hatte er sein T-Shirt ausgezogen und nach der riesigen, unförmigen Reisetasche auf der Rückbank geangelt, in der er seine Utensilien transportierte. Dann war er auf direktem Weg zur nicht weit entfernten Orthopädischen Landesklinik gefahren, hatte den Passat in der hintersten Reihe des dortigen Parkplatzes abgestellt und war mit der Tasche in der Hand durch den Haupteingang des Krankenhauses spaziert. Im zweiten Stock hatte er eine abseits liegende Toilette gefunden, wo er sich die Haare komplett abrasierte und einen großen, weithin sichtbaren Ohrring ansteckte, abgeschnittene, ausgefranste Jeans anzog und ein auffälliges, knallbuntes Hawaiihemd. So hatte Norman Wachter, der in dieser Aufmachung tatsächlich nicht mehr viel mit dem Mann zu tun hatte, nach dem mit Mann und Maus gefahndet wurde, die Klinik nach genau 17 Minuten durch die gleiche Tür verlassen, durch die er gekommen war.
Die beiden Polizisten saßen noch immer Wache vor dem Ausgang des Schwimmbads, die Nachmittagshitze war nahezu unerträglich, und am Horizont stiegen rasend schnell weiße Wolkenhaufen nach oben, was Wachter mit großer Zufriedenheit beobachtete.
»Aua, ich bin auf eine Wespe getreten, Mami!«, schrie ein paar Sekunden später ein kleiner Junge, dessen Mutter, die ein paar Meter von dem Auftragsmörder entfernt auf dem Rücken liegend in der Sonne döste, hektisch aufsprang. »Bitte mach was, sie hat mich gestochen.«
Der etwa sechs oder sieben Jahre alte Knirps humpelte theatralisch heulend und mit weit schwingenden Armen auf seine Mutter zu, die sich, im Zickzack über ausgebreitete Handtücher und Strandmatten springend,
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