Pechstraehne
jammerte er. »Ich fühle mich im Moment gar nicht nach Siechtum und nahem Tod.«
»Nichts da, du kommst mit.«
»Aber die Idee, der Frau einen Besuch abzustatten, ist letztlich allein auf deinem Mist gewachsen. Also solltest du auch allein …«
Der Oberkommissar brach ab, öffnete die Tür und stieg aus.
»Hat ja eh alles keinen Zweck«, murmelte er resignierend.
Im Inneren des Gebäudes roch es nach Desinfektionsmitteln und warmgehaltenem Essen. Da niemand zu sehen war, gingen die beiden Polizisten durch die nächste Glastür und folgten einem langen Flur, an dessen Ende Stimmen zu hören waren. Als sie um die Ecke bogen, drehten zwei in weißen Jacken und Hosen steckende Frauen, die vor einem halben Dutzend alter Männer und Frauen standen, interessiert die Köpfe. Die alten Menschen würdigten die Besucher keines Blickes.
»Ja, was können wir für Sie tun?«, fragte die linke, deutlich kräftiger als ihre Kollegin wirkende, Bedienstete argwöhnisch.
»Wir würden gern mit Frau Gieger sprechen«, eröffnete Hain ihr freundlich. »Margot Gieger.«
»Mit Frau Gieger?«
Sie und die andere Frau in Weiß tauschten einen raschen Blick.
»Das ist ja mal was ganz Neues. Die hat, seit sie hier ist, nicht ein Mal Besuch gehabt, glaube ich.«
Die andere nickte.
»Und warum wollen Sie ausgerechnet Frau Gieger sprechen?«
Die beiden Polizisten hielten ihre Dienstausweise hoch.
»Das ist nichts für die große Glocke. Wir hätten einfach ein paar Fragen an sie, es dauert sicher auch gar nicht sehr lang.«
Wieder ein schneller Blickkontakt zwischen den beiden Frauen.
»Vielleicht«, gab die andere nun zurück, »wissen Sie nicht, in welchem Zustand Frau Gieger sich befindet. Das ist nicht so einfach, wie Sie sich das vielleicht denken.«
»Warum ist das denn nicht so einfach, wie wir uns das denken?«
»Frau Gieger ist sehr, sehr krank und …«
Ihr Blick flog fragend zu ihrer Kollegin, die zustimmend nickte.
»Irgendwie auch ziemlich verstockt. Die meiste Zeit des Tages will sie nicht angesprochen werden, und wenn sie es dann zulässt, dann kommt da nicht viel Sinnvolles bei raus, auch, weil sie an schwerer Diabetes leidet. Außerdem ist sie seit ganz vielen Jahren querschnittgelähmt.«
»Aber theoretisch ist es möglich, mit ihr zu reden?«
»Ich wüsste nicht, was dagegen spräche. Aber rechnen Sie nicht mit viel, da ist nämlich, wie gesagt, nicht mehr viel Segen drin.«
»Schon klar. Wo finden wir sie?«
Die Kräftige setzte sich in Bewegung.
»Ich bring Sie hin, kommen Sie.«
Margot Gieger lag in einem, wie es aussah, speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Krankenbett, das in einem fast völlig abgedunkelten, sehr kleinen Raum stand. Es gab weder einen Nachttisch noch irgendeine Form von Schrank oder Spind. Einziges weiteres Möbelstück war ein kleiner, rechteckiger Tisch, der am Fußende des Bettes stand, und auf dem ein paar Papiere und eine Flasche mit Desinfektionsmittel lagen. Neben ihrem Kopfkissen stand ein leise surrendes medizinisches Gerät, von dem aus mehrere Schläuche und Drähte unter die Bettdecke führten.
Die ehemalige Frau des Bankdirektors lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und zeigte keinerlei Reaktion, als die beiden Polizisten und die Schwester das Zimmer betraten.
»Wie gesagt, sie ist die meiste Zeit des Tages geistig abwesend.«
Lenz trat neben das Bett und beugte sich nach vorn.
»Hallo, Frau Gieger, können Sie mich hören?«
Keine Antwort.
Der Hauptkommissar unternahm nach einer kurzen Pause einen weiteren Versuch.
»Hallo, Frau Gieger. Wir kommen von der Polizei und würden Ihnen gern ein paar Fragen zu Ihrem geschiedenen Mann und Ihrem … Unfall von damals stellen.«
Die Geschwindigkeit, mit der die alte Frau schlagartig die Augen aufriss, ließ Lenz kurz zurückzucken.
»Guten Tag, Frau Gieger«, sagte er schließlich mit belegter Stimme, weil nach dem Aufreißen der Augen keine weitere Regung folgte und sie einfach in seine Richtung starrte. »Können Sie mich hören?«
Ein leichtes Nicken.
Lenz drehte sich um und sah die Schwester an.
»Können wir ein wenig mehr Licht hereinlassen? Das ist ja furchtbar, diese Dunkelheit.«
Sie zuckte als Antwort mit den Schultern, ging zum Fenster und zog den Rollladen ein wenig höher, sodass deutlich mehr Helligkeit in den Raum strömte.
»Ich kenne Sie nicht«, flüsterte Margot Gieger, deren ockergelbe, ungesunde Hautfarbe den Kommissar zutiefst erschreckte. »Haben Sie mich schon einmal
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