Pechvogel
denn?«, sagte sie mit einem sehr vielsagenden Lächeln. »Darf ich mich zu dir setzen?«
»Klar, warum nicht.«
»Was machst du denn so, wenn du nicht als du verkleidet bist?«
»Dann verkleide ich verstorbene Menschen.«
»Wie meinst du das jetzt?«
»Ich arbeite in einem Beerdigungsinstitut.«
Stimmungstief. Das war meistens so, wenn Richard erzählte, was er beruflich machte. Seit einem Jahr arbeitete er in einem Beerdigungsinstitut als Bestattungshelfer. Leichen anziehen, in den Sarg legen, schön drapieren (heimlich heulen), dann die Trauerfeier vorbereiten. Mit den Angehörigen sprechen, wenn die beiden Chefs mal keine Zeit hatten oder ausgelastet waren.
»Toll. Solche Menschen wie dich kann ich nur bewundern. Tote anfassen, ich könnte das nicht.«
»Jeder Mensch verdient, auch wenn er nur noch eine Hülle ist, eine würdige Behandlung. Da gibt es ganz dreiste Abkassierer in der Branche, aber meine Chefs und ich sind da Vorbilder für das Berufsbild.«
»Toll«, strahlte Gabi. »Ich arbeite in einer Gärtnerei als Floristin. Das ist doch eine Superkombi.«
Richard dachte einen Augenblick zu lange an das, was er täglich zu sehen bekam, und war abgelenkt.
»Wie, Superkombi?«
»Du lieferst die Leichen und ich die Kränze und Blumen für die Gräber.«
»Genau«, sagte Richard mit einem Kopfnicken und dachte, auf welcher Sparflamme Gabis Hirn wohl kochte.
Gabi fischte aus ihrem Overall eine Schachtel Zigaretten heraus und zündete sich eine an.
Richard mochte keine Frauen, die rauchten. Sie stanken beim Sprechen und vor allem beim Küssen dann immer wie ein kurz vor der Explosion stehendes Atomkraftwerk.
In der nächsten Gesprächsrunde erfuhr Richard, wie Gabi komplett hieß. Gabi hieß komplett Gabi Fleischmann. Richard erfuhr von Gabi, dass sie neunundzwanzig war, Gabi erfuhr von Richard, dass er siebenundzwanzig war. Was Gabi auch gaaaanz toll fand, war, dass Richard in seiner Freizeit las (Krimis und Sachbücher; zwölf Bücher im Jahr, mehr war nicht drin), gerne ins Kino ging (zweimal im Monat, wenn möglich) und am Computer Fußball spielte (zur PlayStation oder Xbox hatte es immer noch nicht gereicht).
»Was für eine Mischung«, sagte Gabi. »Auch wenn mich davon überhaupt nichts interessiert. Das macht ja nichts.«
»Ja, genau«, sagte Richard gedehnt.
Warum sollte sie davon auch etwas interessieren, dachte Richard. Er wird die Frau nach diesem Abend nie wieder sehen und daher konnte ihm egal sein, ob ihr gefiel, was er so trieb.
Plötzlich tippte ihm von hinten jemand auf die Schulter. Es war Sandra. Sie hielt einen durchtrainierten Kerl an der Hand, der eine Matrosenuniform trug.
»Ich sehe, du unterhältst dich gut«, sagte Sandra. Sie ließ Richard nicht zu Wort kommen. »Ich gehe mit Karsten hier zum Segel setzen. Alles klar?«
»Ja.«
»Gut. Du kommst ja auch ohne mich klar. Und nach Hause findest du auch wieder alleine. Bis die Tage, Richard.«
Und schon zog Sandra ihren Fang an der Hand hinter sich her und segelte mit ihm aus dem Saal.
»Wer war das denn?«, fragte Gabi mit leicht pikiertem Ton.
»Meine beste Freundin Sandra. Sie ist ein guter Kumpel und irgendwie wie eine Schwester für mich.«
»Das ist ja schön«, antwortete Gabi wieder mit heller Stimme und zündete sich die nächste Zigarette an.
Richard lenkte das Gespräch wieder auf ihre Bahnen. »Was machst du denn so in deiner Freizeit?«
»Ich stricke Socken, viele bunte Socken für mich und meine Arbeitskolleginnen und natürlich für meine Männer und Frauen im Verein.«
»Du bist in einem Verein?«
»Ja. Ich spiele Badminton beim TSV Neuhausen-Nymphenburg, in der dritten Mannschaft«, sagte sie ganz stolz.
In den 80ern sagte man dazu noch Federball, dachte Richard.
»Der Verein hat seine Halle in der Stievestraße.«
»Ja, du kennst ihn? Das ist ja toll«, freute sich Gabi.
»Nein. Ich hab mich mal bei einer Mini-Testfahrt verfahren und hab dann dort welche, die aus dem Vereinsheim gekommen waren, nach dem Weg gefragt.«
»Oh.«
»Dritte Mannschaft. Ist das gut?«
»Würde ich schon sagen. Wir sind Zweiter in der Bayernliga Süd. Vor unserer zweiten Mannschaft, die ist nur Dritter im Moment.«
Richard verlor Gabi kurzzeitig aus den Augen, da sie ihn mit ihrem Zigarettenrauch einnebelte. Er musste husten.
»Oh, das tut mir leid. Ich versuch, den Qualm woanders hinzupusten.«
»Das ist schon okay. Werde schon nicht gleich sterben.«
Richard dachte an die hohe Sterberate der
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