Pechvogel
Passivraucher. Wenn er länger mit Afro-Lockenmähne-Qualm-Gabi sprach, könnte er gleich seine eigene Beerdigung in die Wege leiten.
Er wollte eigentlich seine Ruhe haben, aber das Gespräch mit Gabi war so belanglos, dass er sich dabei nichts dachte. Und so ging das den ganzen Abend weiter. Hauptsächlich tauschten sie belangloses Zeug aus. Nach vier Cola light und einem Glas Sekt für Richard und sechs Glas Sekt für Gabi kam sie auf den Weltfrieden und den Klimaschutz zu sprechen. Sie war nämlich eine Grüne. Seit zehn Jahren wählte sie nur die Wäldlepartei. Über was Gabi so gar nicht reden wollte, war Kultur, Wirtschaft und Sport. Alles Themen, die Richard sehr interessierten. Und über Politik reden konnte Gabi auch nicht.
»Aber du wählst doch die Grünen. Du hast was vom Klimaschutz gesagt, interessierst dich aber nicht für Politik.«
»Nein, warum auch. Ich mag die Grünen, weil ich die Farbe so schön natürlich finde und weil sie sich für die armen Tier und Pflanzen einsetzen.«
»Ah ja. Und, was machst du sonst noch so, außer stricken und Badminton spielen?«, fragte er.
»Ich koche gerne, wenn ich bei jemandem bin und ich habe vor einem halben Jahr an einer Kunstschule hier in München meinen Kurs abgeschlossen.«
»Kurs?«
»Ja, ich habe mich im Aktzeichnen versucht«, sagte Gabi mit einem herzlichen Lächeln.
»Aktzeichnen? Also nackte Menschen und so?«
»Ja. Vor allem Männer.«
»Das ist ja schön«, sagte Richard gedehnt. »Und, wie bist du so? Im Aktzeichnen, meine ich.«
»Ich denke, ich bekomme das ganz gut hin. Ich kann das ja an dir mal testen«, sagte Gabi und kniff Richard in den Oberarm.
Richard traten Schweißperlen auf die Stirn. Vor dieser Frau nackt zu stehen und sich zeichnen zu lassen? Das wäre das Allerletzte, was er gerne tun würde. Er musste schnell auf ein anderes Thema umlenken.
»Gabi.«
»Ja, Richard.
»Soll ich dir aus der Hand lesen?«
»Oh wow, du kannst das. Das wäre ja toll.«
Klar, was auch sonst, dachte Richard.
Er hatte kürzlich in einer Zeitschrift darüber gelesen und wollte den intelligenten Hellseher raushängen lassen. Gabi fand das ganz bezaubernd. Sie genoss all die schönen Sachen, die er ihr sagte.
Warum tat er das nur?, fragte sich Richard. Er wusste es selbst nicht. Lag es vielleicht daran, dass er seit zwei Jahren die Singlewüste durchschritt und Gabi nach so langer Zeit die erste Wasserstelle war, die ihn praktisch überfallartig einlud, davon zu trinken?
Das Ende vom Lied der Handleserei war, dass Gabis trockene Richards feuchte (ansonsten trockene) Hand nun gar nicht mehr hergeben wollte. Gabi war locker, Richard wurde langsam nervös. Auch, weil er sich dagegen nicht wehrte. Ein Wesen aus einer fernen Galaxie ergriff Besitz von ihm. Wenn Gabi Richards Hand entließ, dann nur, um damit herumzuspielen. Mit den Fingern, erst kitzelte sie ihm die Handfläche, dann massierte sie sie ihm.
»Gefällt dir das?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Richard gedehnt.
»Dann wird dir das auch gefallen«, sprach sie, nahm seinen Ringfinger, tauchte ihn in ihr fast volles siebtes Glas Sekt ein, steckte sich seinen Finger in den Mund und leckte ihn ab.
Richard atmete schwer. Seine Hose bekam langsam eine Wölbung, obwohl er das doch gar nicht wollte.
Nein, das kann doch gar nicht sein, dachte er. War es diese Tat, die sein rationelles Denken in eine dunkle Höhle schickte? Gabi Fleischmann, eine Gärtnerin mit einem Hirn wie eine Pusteblume, einem Kopfschmuck wie ein explodierter Fasan und einem Busen so groß wie ein genmanipulierter Halloween-Kürbis, regte in ihm so viel, dass er meinte, gleich platzen zu müssen. Scheiß Fasching.
Habe ich mich ein wenig in Gabi Fleischmann verliebt?, dachte er weiter. Nein, unmöglich!
Gabi Fleischmann war eine Frau, die andere Männer als durchaus attraktiv betrachten würden, aber Richard fand an ihr alles irgendwie nur sonderbar. Und trotzdem ließ er sie weiter an seinem Finger lecken. Er bekam vorgeführt, was aus einem salopp geführten Gespräch werden kann, wenn man einfach nur nett sein will und dazu immer wieder die Augen und den Busen seines weiblichen Gegenübers äußerst nah zu sehen und spüren bekam.
Nachdem die zehn Minuten andauernde Fingerorgie (sie nahm sich jeden Finger seiner rechten Hand vor) zu Ende war, sah Gabi das erste Mal an diesem Abend auf ihre knallbunte Swatch-Armbanduhr.
Richard rieb seine Finger aneinander. Sie kribbelten wie Sekt auf der Zunge. Was hatte diese
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