Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
13. Jahrhundert. Die letzten paar hundert Meter erweisen sich somit als echte und letzte Bewährungsprobe auf unserer langen Pilgerreise. Der Autor wird langsamer und langsamer, Toni immer schneller.
„Assisi“ – wir passieren das offizielle Ortsschild unseres Pilgerzieles. Vor Glück strahlend und sichtlich erleichtert postiert mich Herrchen sofort vor dieses denkwürdige Motiv. Völlig erschöpft quält sich mein Schreiber die letzten Meter zu einer Holzbank in unmittelbarer Nähe des monumentalen Stadttores. Ich flüchte in den Schatten unter der Bank. Die allerletzten Wasserreserven sind aufgebraucht. Der Autor, schweißgebadet, besteht auf eine längere Rast und einen Wechsel seines T-Shirts, bevor wir die heilige Stadt betreten. In diesem Zustand könne er das Ziel des Weges nicht betreten. Erst nach einigen Minuten der stillen Einkehr sowie der physischen und psychischen Regeneration realisieren wir, was sich rund um uns abspielt. Massen von Touristen strömen in die und aus der Stadt. Eine deutsche Gruppe sucht lärmend und planlos nach dem nahen Busparkplatz. Japaner knipsen einander vor dem Tor. Eine Italienerin kommt aufgeregt auf uns zu, um meinen Namen und den schnellsten Weg zu San Francesco zu erfragen. „Pecorino“ und „Mi dispiace“, lauten die knappen Antworten. Meine Begleiter wirken etwas überfordert, erschöpft, aber glücklich. Aus und vorbei ist es mit der Stille, der Ruhe und der Einsamkeit des Pilgerdaseins der vergangenen zwölf Tage. Was nun folgt, ist ein regelrechter Kulturschock und Zivilisations-Flash zugleich. Der brutale Alltag hat uns mit all seinen touristischen Auswüchsen eingeholt. Emsige Reiseleiter, profitgierige Trinkwasserverkäufer, unmutige Lieferanten und eben Scharen von internationalen Touristen drängen sich durch das schmale Tor. Nur Pilger sehen wir keine hier am Ziel in der Hochburg des franziskanischen Geistes. Pilgern sind wir auch auf dieser letzten Etappe nicht begegnet. Eigenartig. Ja, man wird geradezu als bemitleidenswerter Exot angestarrt, wenn man sich hier mit Rucksack und Wanderstock durch die engen, gepflasterten Gassen bewegt. Sei es drum. Wie es sich für aufrechte Pilger gehört, führt uns der erste Weg direkt zu San Francesco, der Grabstätte des Heiligen, dessen Spuren wir nun 300 Kilometer lang gefolgt sind, dessen Geist zwölf Tagesmärsche stets mit uns war.
Inmitten des Klosterdistrikts ragt sie empor, die Basilika San Francesco. Beeindruckend. Ein architektonisches Kunstwerk, bestehend aus drei übereinander gebauten Kirchen: der gotischen Oberkirche, der romanischen Unterkirche und tief in den Berg eingelassen der Krypta mit der Grablegungsstätte des Heiligen. Ein Eldorado für jeden Kunsthistoriker. Ein feierlicher Moment für jeden Gläubigen. San Francesco gehört als Basilica Maior zu den sieben ranghöchsten Gotteshäusern der christlichen Welt. Das kann man sehen und spüren. Ein Hauch von Ewigkeit und göttlicher Schöpfung liegt über dem Ziel aller Franziskuspilger. Unser Staunen, unsere Ergriffenheit, aber auch unsere Erschöpfung muss in diesem Moment festgehalten werden. Bei mir wird sich wohl nichts Wesentliches ändern, Hundefell bleibt Hundefell, aber meine Begleiter wollen als Beweis und Erinnerung ein letztes Mal im verschwitzten Pilger-Outfit mit mir gemeinsam vor der heiligen Stätte abgebildet werden. Dafür gibt Toni sogar seine heiß geliebte Canon kurzfristig aus der Hand und vertraut sie einem Fremden an. Es ist ein Kanadier, der dieses wichtige, wahrscheinlich einmalige Foto von uns schießt. Zweimal, dreimal und noch einmal – „Just to make sure!“
Jetzt beginnt für uns ein anderer Rhythmus, ein touristischer, wenig beseelt von hohen geistigen Zielen. Zwar sind wir letztmals auf Herbergssuche, doch mit Almosen darf man hier als „Gotteswanderer“ nicht mehr rechnen. Assisi ist bei aller sicht- und fühlbaren Spiritualität zu einer veritablen Einnahmequelle des mittelitalienischen Fremdenverkehrs geworden. Der Pilger mutiert zum Rucksacktouristen. Am Weg zur Touristeninfo auf der Piazza del Comune wird uns klar, wie profitabel die Geburtsstadt heute mit den Visionen, Lehren und dem Nachlass ihres berühmtesten Sohnes umgeht. Franziskus ist omnipräsent, in allen Größen und Materialien: geschnitzt aus Holz, aus Metall, aus Plastik. Der Werkstoff bestimmt den Preis. Sein Konterfei mit oder ohne Wolf; Vögel oder Stigmata zieren T-Shirts ebenso wie Regenschirme, Grappa-Flaschen, Postkarten und
Weitere Kostenlose Bücher