Pedro Juan Gutiérrez
hätte.
»Ich muss dir unbedingt erzählen, was mir gestern Nachmittag passiert ist. Du musst mir dann sagen, was du davon hältst. Ich weiß, du hast Sinn für solche Dinge.«
»Ich? Nein, María, du hast Sinn für solche Dinge. Als Ratgeberin würdest du viel besser leben.«
»Um so was noch anzufangen, bin ich zu alt. Ich hätte das seinerzeit tun müssen, jetzt ist es zu spät dafür.«
»Na gut. Was ist geschehen?«
»Junge, ich hatte gerade eine Zeitschrift durchgeblättert und den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen, um etwas auszuruhen. Ich schlief nicht, hatte nur die Augen ein wenig geschlossen, da erschien mir Manuel. Völlig gelassen, ohne jeden Hass erklärte er mir: ›lch werde dich umbringen.‹ Dann verschwand er wieder.«
»Und was hast du getan?«
»Ich machte die Augen wieder auf. Ich habe zwar keine Angst, aber das Ganze will mir nicht aus dem Kopf. Alles, was ich sehe, geschieht mir auch. Was soll ich tun, Pedro Juan?«
»Ich glaube, du hast doch Angst.«
»Nein, nein, nein.«
»María, stell ein Glas Wasser mit Parfüm auf und geh zu einer Santera, die für dich eine gute Messe abhält. Dieser Geist muss aufsteigen. Manuel ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, völlig unerwartet, deshalb grämt er sich noch. Wenn du ihn nicht rechtzeitig ans Licht bringst, nimmt er dich mit. Du musst eine Messe für ihn abhalten lassen, oder zwei, oder drei, wie viele auch immer, damit er weiß, dass sein Platz der Friedhof ist und nicht hier. Er muss gehen.«
»Ach, mein Junge, ich glaube doch nicht an so was.« »Dann hast du auch nichts gesehen.« »Doch, doch. Wie kannst du daran zweifeln?« »María, du musst dich entscheiden. Glaubst du nun oder nicht? Wenn nicht, geschieht auch nichts und du kannst ihn vergessen. Wenn ja, musst du eine Messe für ihn abhalten und ihm helfen, aufzusteigen.«
María ging, immer noch uneins mit sich. Zu Beginn der Revolution war sie Parteimitglied und Militäroffizier gewesen. Immer hatte sie Befehle gegeben und Kontrolle ausgeübt. Die Leute im Viertel begegneten ihr mit Vorsicht und nannten sie »La Capitana«. Jetzt war sie einsam und alt und arm und schmutzig. Sie konnte sich nicht einmal mehr dazu aufraffen, sich zu waschen.
Wieder Stille. Ich konzentrierte mich auf den Rum und die siedende Languste. Doch gleich darauf hörte ich die Schritte meiner Nachbarin von nebenan. Sie ist eine hübsche Mulattin, vielleicht zwanzig Jahre alt, und hat Stil. Sie geht auf den Strich, könnte aber Model sein, so schön ist sie. Genau wie ich lebt sie immer noch in dieser Bruchbude, ist aber unerbittlich: Wenn du kein Geld hast, sieht sie über dich hinweg. Manchmal grüßt sie mich, aber ohne jede Wärme. »Guten Morgen, Nachbar.«
»Guten Morgen, Nachbarin. Du bist wohl spät von der Schicht gekommen, es ist fast Mittag.«
»Und wer sagt, dass ich nur nachts arbeite? Du bist ganz schön frech.«
»Weißt du, dein Parfüm rieche ich bis hier.« »Das tut mir aber leid, Schätzchen, dann musst du halt leiden.«
»Grausames Ding.«
»So heißt ein Lied. Bis bald. Ich lege mich jetzt ein Weilchen hin.«
»Wann lässt du mich mal ran, Süße, ich bin schon ganz mürbe.«
»Wenn du mal viel Pinkepinke vorweisen kannst. Aber bis dahin komm mir nicht zu nahe. Und jetzt fort mit dir, Unglück steckt an!«
»In Ordnung, Süße, sei ruhig weiter so boshaft zu mir. Schlaf schön.«
»Ciao, Schätzchen.«
»Ciao, Süße.«
Sie ging in ihr Zimmer und schloss die Tür, und ich ging wieder zurück in meine Kochnische. So ist das eben. Wenn man Geld hat, darf man, wenn nicht, kann man sich zum Teufel scheren. Wie beim Schiffbruch: Rette sich, wer kann! Ich mag die Frau. Vor einem Jahr kam sie vom Lande, mit Schwielen an den Händen und vom Acker rotverschmierten Fußnägeln. Sie erzählte, sie stamme aus Palma Clara! Weiß der Teufel, wo das ist!
Sie ist sehr misstrauisch und glaubt immer, alle wollten ihr nur Böses. Aber einmal hat sie folgendes erzählt: Mit zwölf ging sie in der fünften Klasse von der Schule ab und begann, Kaffee zu pflücken, um eigenes Geld zu verdienen, denn der Vater versoff und verrauchte alles, was er verdiente. »Wir waren sieben Geschwister daheim und lebten von Maismehl und Süßkartoffeln.«
Mit siebzehn ging ihr auf, dass Kaffeepflücken Arbeit für grobe Leute und Hungerleider war. Eines Tages badete sie, zog ein sauberes Kleid an und machte sich ohne jeden Abschied auf den Weg nach Havanna. Einfach so, ohne zu wissen, wie es
Weitere Kostenlose Bücher