Pedro Juan Gutiérrez
Wenn man Geld hat, kann man nicht nervtötende Stunden lang mit aufgeschlagenem Rationsheftchen in der Schlange stehen und auf seinen Rum warten, Scheiße. Ich zahlte das Doppelte und war im Nu fertig. Hinterher ging der Protest los. Die Alten meckerten.
»He, das hier ist für alle gleich, du musst deine Ration eintragen.«
Es kotzt sie an, wenn jemand mit Geld aufkreuzt und sie verarscht. Ich entfernte mich ein Stück.
»Gleich? Für wen, du armseliger, alter Wicht? Schert euch doch zum Teufel.«
Während ich so zeterte, kam der alte Martin auf mich zu, wie immer angesäuselt.
»Hör mal, Pedro Juan, lass gut sein. Kümmere dich nicht um diese erbärmlichen Versager. Ich will mit zu dir aufs Dach. Ich habe ein Fläschchen reserviert, das ich mit dir trinken will.« »Schön, Martin. Jederzeit, wann immer du willst.«
»Nein, nicht wann ich will, sondern du.« Seit Monaten erzählte er mir dieselbe Leier, ich hatte sie langsam satt.
»Ich bin jeden Abend da oben, Martin, ich gehe nicht mehr aus.«
»Gut. Ich habe ein paar Geschichtchen für dich, die kannst du dann niederschreiben.«
»Ich schreibe nicht mehr, Martin. Siehst du nicht, wie ich mich auf der Straße abrackere?« »Dann bist du kein Journalist, Junge?« »Gewesen. Ich war mal einer, jetzt bin ich überhaupt nichts mehr.«
»Wie denn das? Erzähl mir keinen Stuss! Ich spreche ernsthaft mit dir.«
»Lass gut sein, Martin. Komm hoch, wann du willst. Bring die Flasche mit, dann reden wir über Frauen und Fußball.« »Von wegen. Ich bin ein ernster Mann. Als Junge war ich Nachbar von dem großen Mann, du weißt schon...« »Von wem?« »Von wem wohl?«
»Schscht, Martin, Schluss jetzt. Ich schreibe nicht mehr. Hör jetzt auf.«
Ich drehte mich um und ging.
Mit meiner Flasche in der Hand kehrte ich zurück in mein Zimmer auf dem Dach. Ich wollte mir eine Languste kochen und den Rum dazu trinken. Das passte zwar nicht zusammen, aber es war alles, was ich hatte, also musste es zusammenpassen.
Darüber dachte ich gerade nach, als ich Tony traf, einen früheren Kollegen. Wir begrüßten uns und unterhielten uns ein Weilchen. Genauer gesagt, er sprach, denn er kam gerade aus Matanzas, wo er Erkundigungen über ein UFO eingeholt hatte, das dort vor ein paar Tagen gelandet sein sollte. Und offenbar stimmte es wirklich, schon allein deshalb, weil der Zeuge ein Bauer war, zu dumm und ignorant, um Lügen zu erfinden. Das UFO hatte die Größe eines kleinen Wagens.
»Wie eine Schildkröte, wie der Panzer einer Schildkröte.« Es war leise heruntergekommen, ein Mann war ausgestiegen, hatte einige Kräuter gepflückt, war wieder in den Apparat gestiegen und hatte völlig geräuschlos abgehoben. Die Abdrücke waren noch zu sehen, und man hatte sie fotografiert. »Na schön, Tony. Ich habe immer geglaubt, dass es Leben auf anderen Planeten gibt. Was mir nur Sorgen macht, ist, dass niemand mit uns Kontakt aufnehmen will.« »Vielleicht weil sie glauben, wir seien immer noch wild?« »Genau. Wild, aggressiv, brutal.« »Schon gut, Pedro Juan, reg dich nicht auf.« »Ach nee, du kommst daher und machst mich an, und ich soll mich nicht aufregen.« »Ich muss jetzt weiter.« »Okay, bis dann.«
Das hatte uns gerade noch gefehlt, frei umherlaufende echte Außerirdische. Ich ging hoch, stellte die Languste auf den Herd und sah still zu, wie sie kochte. Jeden Tag genieße ich Stille und Einsamkeit mehr und erwarte mir nicht zu viel. Ich kann das nicht so genau erklären. Wenn mich Stille umgibt, bin ich ich selbst. Und das genügt mir. Mein Leben läuft immer weiter auseinander, wie ein Fluss, der über die Ufer tritt und das Land überflutet. In einem solchen Moment muss ich vieles sein lassen und mir überlegen, was gut und nötig ist. Nur so hat man Kontrolle über das Wasser und kann es zurück ins Flussbett lenken. Es ist wie ein Pendel. Das war schon immer so. Ich habe mich daran gewöhnt, mit diesen Überflutungen zu leben, die alles wegschwemmen, und der Ruhe hinterher, der Kontrolle, der Einsamkeit, der Stille. Es ist eine lange Lehre, geradezu ewig. Ich habe den Verdacht, sie wird nie enden. Die Languste kochte, und ich war mit dem Rum schon ganz gut fortgeschritten, als María kam. Sie ist eine sehr alte Nachbarin, die manchmal Vorahnungen hat und Dinge sieht, und ich helfe ihr dann dabei, sie zu deuten. Seit einem Jahr ist sie Witwe. Sie hatte ihren Mann immer ziemlich unter der Fuchtel gehabt und sich damit gebrüstet, dass er Angst vor ihr
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