Pedro Juan Gutiérrez
anderen in mich hineinschütten, bis zu zwanzig, dreißig, kann den Überblick verlieren und weitersaufen und nur halb angeduselt sein. Ein Mulatte, ein ganz junger Bursche, drängelte sich zwischen uns, stieß uns zur Seite, ohne sich zu entschuldigen. Er stieß uns einfach zur Seite, lehnte sich über den Tresen, zog einen Zehn-Dollar-Schein hervor und verlangte etwas von dem Mann hinterm Tresen. Ein anderer Mulatte, ebenso schwarz wir der Erste und ebenso jung, drängelte sich zu ihm vor. Er packte ihn bei der Schulter und riss ihn herum, sodass der erste Bursche jetzt mit dem Rücken zum Tresen stand. Mit einem hasserfüllten, grausamen Ausdruck im Gesicht stach er ihn zweimal in die Brust, keine fünf Zentimeter vor meiner Nase. So schnell, dass ich erst gar nicht begriff, dass dieser glänzende Stahl ein Messer war, das zweimal sauber und ohne Blutstropfen in die Brust des jungen Burschen mit den zehn Dollar ein- und wieder ausdrang.
Ohne nachzudenken, stieß ich Enrique zur Seite, damit er aus dem Weg war, und presste mich so fest ich konnte an den Tresen. Der Bursche mit den Messerstichen lief davon, der andere hinter ihm her, immer weiter auf ihn einstechend, wo immer er ihn zu fassen bekam. Schreie wurden laut, die Leute wichen zurück. Ein Polizist schoss dreimal mit einer 45er in die Luft. Es war merkwürdig. Im Lichtschatten, weit vom weißen, beleuchteten Tresen entfernt, stand ein Polizist in Zivil, ich konnte ihn ganz deutlich sehen. Auf seinem Gesicht waren Angst und Entsetzen zu lesen. Ich hielt Ausschau nach Enrique, um ihn von hier wegzubringen. Er lag auf dem feuchten, schmutzigen Boden und wehrte sich gegen vier Typen, die ihn festhielten und seine Taschen durchwühlten. Mein fürsorglicher Stoß hatte ihn nur zu Boden geworfen. Rasch kam ich ihm zu Hilfe und schrie, um die Raubtiere zu vertreiben: »He, was zum Teufel ist hier los?«
Sie verteilten sich, verschwanden. Ich half ihm auf die Beine. »Komm, Enrique, machen wir, dass wir von hier wegkommen!«
So gut es ging bahnten wir uns den Weg durch die lärmende Menschenmenge. Wir überquerten den Malecón, gingen hinüber auf den breiten Gehsteig, der parallel zum Meer verläuft. Da fiel mir plötzlich auf, dass wir weithin die einzigen Weißen waren.
Im Maceo Park spielte eine Salsa-Band. »Es steht dir ins Gesicht geschrieben, du bist eine zum Verlieben... Ich will ein heißes Abenteuer diese Nacht mit dir. Du wirst es nicht bereuen, Schätzchen, das glaube mir.« Und alle tanzten wie die Blöden. »Hat man dir was geklaut? Sieh nach.«
Enrique überprüfte seine Taschen. Ihm fehlten sechzig Dollar, die er in der Hemdtasche stecken hatte, seine Brille und sein Führerschein. Etwas Geld hatte er noch in der Hosentasche. Seine rechte Schulter tat ihm weh vom Sturz. Sein Rücken und Po waren dreckig.
Wir sahen zu, dass wir wegkamen. Das Stück Malecón hinter dem Maceo Park ist exklusives Territorium für Schwule und Lesben. Ganze hundert Meter gay. Free love. Wenn man Richtung Vedado weitergeht, ändert sich alles. Die Gays sind eine Pufferzone zwischen der black power-Unruhe und der relativen Ruhe des Vedado, wo es scheinbar gelassener zugeht. Aber das täuscht. Alles ist verderbt. In Wahrheit sind wir alle Mischlinge. Hier tobt die Unruhe nur im Untergrund. Man braucht nur ein wenig an der Oberfläche zu kratzen, und alles explodiert mit derselben Brutalität.
Wir kamen zu einer Pizzeria beim Hotel Saint John; eine saubere, hell erleuchtete Pizzeria mit wenigen Leuten und Klimaanlage. Oh, welcher Frieden! Hier zahlte man in Dollars, und es ist nicht teuer, aber irgendwie nicht zugänglich für den Mob, der sich da draußen für zehn Dollar absticht.
Wir bestellten Pizza mit Schinken und Bier. Wir atmeten tief durch und lächelten. Ich atme gern frische, aromatische, trockene Luft. Sie gibt mir ein Gefühl von Luxus, Komfort und Wohlbehagen. In einem Raum mit Klimaanlage inhaliert man nur leichte, effiziente Neutronen in die Lungen. Die Protonen bleiben draußen in der Feuchtigkeit, der Schwüle, dem Lärm und den Menschenmassen. Hier ist von Menschenmassen nichts zu spüren. Es waren nur wenige Leute da, gut gekleidet und dicklich, leise sprechend.
Am Nebentisch unterhielten sich fröhlich drei stämmige, junge Mexikaner mit dicken Goldketten und -armbändern. Enrique lächelte ihnen zu und fragte sie in seinem besten Mexikanisch, ob sie aus Guadalajara kamen. Nein, aus Monterey. Sie verbreiteten das Wort Gottes, waren gerade erst
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